Freie Presse, Lokalseite Zschopau vom 20. Juli 1991
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Landtour in Sachen Kreisreform
Projektteam berät mit Landräten - kein Trend zum Erhalt "kleiner Fürstentümer"

(PS). Das Projektteam ist zur Zeit auf Tour durch Landkreise des Chemnitzer Bezirkes. Das Projekt-team ist jenes Gremium, das im Auftrag der sächsischen Staatsregierung und des Innenministeriums den ersten Entwurf einer Kreisreform für den Freistaat ausgearbeitet hat ("Freie Presse" vom 5. Juli). Der Kern der Aussagen: In Zukunft soll es in Sachsen nur noch 23 statt der bisherigen 48 Landkreise geben, im Regierungsbezirk Chemnitz 9 anstelle von 21.

Verständlich, daß breite und teilweise heftige Diskussionen vorauszusehen sind. Schließlich wird ein Gebiet berührt, das tief in das unmittelbare Lebensumfeld der Bürger wirkt. Und dabei gibt es sicher keine Hoffnung, es jedem recht zu machen.

Das Projektteam ist sich dieses Tatbestands bewußt. Diese "Kreisreformmannschaft" ist eine fünfköpfige Expertengruppe: 4 Wessis, 1 Ossi. Chef der Truppe ist Wilhelm Neuß, ein erfahrener Kommunalbeamter, zuletzt Oberbürgermeister von Worms. Einer der Planungsexperten, Horst Hahlweg, kommt aus Baden-Württemberg und war dort schon vor 20 Jahren mit der Verwaltungsreform befaßt.

Nach nunmehr 17 ausführlichen Gesprächen mit Landräten - am Donnerstag im Landkreis Chemnitz, gestern in Glauchau und im Landkreis Zwickau - zogen beide Experten in einem Gespräch mit der "Freien Presse" eine erste Zwischenbilanz.

Grundsätzlich, so Neuß und Hahlweg, gibt es mit den Landräten Ubereinstimmung zur Reform. Vor allem im Westteil Sachsens werden die Vorschläge des Projektteams weitestgehend akzeptiert. Einen Trend "zum Erhalt kleiner Fürstentümer" erleben beide nicht. Natürlich kämpfe jeder Landrat um die entsprechende Einbindung seines Kreises in ein größeres Gebiet. Aber das sei doch menschlich und politisch verständlich. Zum Knackpunkt scheine allerdings die künftige Kreisstadt zu werden. Hier hänge manches offensichtlich doch mit "Hausmachten" zusammen.

Das vorgelegte Gebietsmodell, so Neuß und Hahlweg, werde von der Anlage her gutgeheißen. Es sehe keine übermaßig großen, aber auch keine extrem kleinen Gebiete vor. Daß es bei jedem Modell streitbare Problemgebiete gibt, läge auf der Hand. Dennoch habe sich allgemein die Erkenntnis durchgesetzt, daß es keine Verzögerung bei der Reform geben dürfe. Damit würden sonst in der Aufbauphase, perspektivisch gesehen, Unsicherheiten und Hemmnisse vorprogrammiert sein.

Eine Bildung von Grol3kreisen, wie beispielsweise von der SPD vorgeschlagen, lehnt das Projektteam (natürlich! H.D.) ab. Das sei ein technokratischer Vorschlag, sagen Neuß und Hahlweg. Er würde eine "Vergewaltigung" bedeuten. Bei den sächsischen Siedlungsstrukturen sei das nicht tragbar. Konzeptionell verknüpft das Projektteam bereits die Kreis- mit einer Gemeindereform. Dennoch müsse man erst den einen Schritt tun, den zweiten aber rasch folgen lassen. Bei den vorgeschlagenen Kreisstrukturen sei die Gemeindereform "gedanklich bereits mitvollzogen" worden. Gegenwärtig, so Hahlweg, machen die Kreisverwaltungen noch viele Aufgaben, die in Verantwortung der Kommunen gehören. Um diese aber übertragen zukönnen, bedarf es bei den Gemeinden größerer Verwaltungseinheiten oder -gemeinschaften. In Baden-Württemberg beispielsweise zeigt sich die effektivste Verwaltungsstruktur zwischen 5000 und 10.000 Einwohnern. Sachsen orientiert gegenwärtig auf 2000.

Wie nun weiter nach der Tour bei den Landräten? Bis Mitte August, sagen Neuß und Hahlweg, werden die individuellen Gespräche mit allen Landräten abgeschlossen sein.

Danach wartet das Projektteam auf deren Stellungnahmen. Bis zum 25. September wird ein modifiziertes, weiterentwickeltes Modell erarbeitet. Dieses Orientierungsmodell wird erneut beraten. Im Herbst will das sächsische Kabinett Stellung beziehen. Danach könnte das Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt werden. Es gäbe keinen Grund, daß die Kreisreform nicht bis Ende 1993 abgeschlossen sein könnte und 1994 in Sachsen in den neuen Strukturen gewählt wird.