Freie Presse Online: Mitte Mai 2002
Nachrichten
seit 1990

Marienberg/Zschopau:
Nettoeinkommen
im Mittleren Erzgebirgskreis im Keller

Armut im Erzgebirge

ist kein neues Phänomen. Die Bergarbeiter erfuhren sie bereits im 17. Jahrhundert, und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Gegend hier mehr oder weniger als Notstandsgebiet. Von der Landwirtschaft konnten einfach nicht soviel Leute leben, wie hier wohnten. Die Industriealisierung war daher im Erzgebirge ein rechter Segen! Es musste ja kein Ruhrgebiet daraus werden, es musste lediglich zum bescheidenen Leben reichen.

Den Wirtschaftsexperten der Wiedervereinigung hätten eigentlich solche Besonderheiten bekannt sein sollen - schließlich waren es die Experten. Wirklich? Dann ist schwer nachvollziehbar, warum man die Hauptarbeitgeber der Region nach 1990 in den Konkurs entließ: Motorradwerk (3.200 Beschäftigte), Kühlschrankwerk (4.100 Beschäftigte), Spinnerei und Strumpfindustrie.

Die Globalisierung bewirkt nun den gleichen Effekt für die örtliche Industrie wie vor 300 Jahren die Erschließung Südamerikas für die hiesigen Bergwerke: Es lohnt nicht mehr! Was bleibt den Leuten, als Armut oder Auswanderung? H.D.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist das Hauptproblem im Erzgebirge. Das ergab der Städtevergleich der Freien Presse, in dem es im dritten Teil um den Bereich Wirtschaft ging. Die für die fünf Städte Annaberg, Aue, Marienberg, Schwarzenberg, Stollberg und Zschopau ermittelten Quoten liegen fast durchweg bei etwa 16 Prozent. Das Schlusslicht bildet Zschopau mit 17,28 Prozent, Marienberg liegt bei 15,92 Prozent.

Ein ganz anderes Problem in der Region: Die Leute bekommen nicht das, was sie verdienen. Zu diesem Schluss kommt Michael Behr, der jetzt in einer Studie Unternehmen der Region auf verschiedene wirtschaftliche Aspekte hin analysiert hat. Bestätigt wird dieser Trend durch die Zahlen aus dem Statistischen Landesamt. Nach denen bildete der Mittlere Erzgebirgskreis im Jahr 2000 beim Nettoeinkommen das Schlusslicht in Sachsen. Auch die aktuellen Zahlen sehen nicht viel besser aus. Beim Monatsdurchschnitt der Nettoeinkommen liegen Marienberg und Zschopau mit 785,86 Euro an letzter Stelle bei den fünf Erzgebirgsstädten. Im Nachbarkreis Annaberg werden 809,37 Euro verdient. Als Spitzenreiter weist die Statistik Stollberg mit 929,64 Euro aus.

Besonders dramatisch ist im Landkreis jedoch eine andere Zahl: Bei den Sozialhilfeempfängern, die eigentlich eine Arbeit haben, ist das mittlere Erzgebirge führend im Freistaat. Demnach sind knapp ein Drittel aller Soziaihiifeberechtigten im Landkreis berufstätig. Nur weil sie so wenig verdienen, bekommen sie zusätzlich Sozialhilfe. Dies alarmierende Entwicklung bestätigt auch Sozialdezernent Ralf Schenk. »Während der Anteil der berufstätigen Hilfeempfänger sachsenweit bei sieben Prozent liegt, sind es hier 26 bis 28 Prozent«, konstatiert Schenk. Das Lohnniveau im Kreis habe in den zurückliegen den Jahren nicht mit dem in anderen Teilen Sachsens Schritt halten können.

»Ein Riesenproblem für uns«, so Schenk, »schließlich betreibt der Landkreis damit eine verdeckte Lohnsubventionierung.« Außerdem könne weder die Kreisverwaltung noch das Arbeitsamt Maßnahmen einleiten, um die Situation zu ändern. »Diese Leute können wir ja nicht mit Programmen wie Arbeit statt Sozialhilfe erreichen«, erläutert der Dezernent, »denn sie haben ja eigentlich Arbeit.«