Die Handwagenfabrik

Nach Freie Presse 1994

In einem langgestreckten Seitental der Zschopau erstreckt sich über mehrere Kilometer der Ort Krumhermersdorf. Im unteren Ortsteil entstand um 1900 herum ein neuer Betrieb. Der Großvater des jetzigen Inhabers, Hermann Lindner, der 1893 eine Stellmacherei gründete, kam 1898 aus Börnichen nach Krumhermersdorf, weil er hier bessere Bedingungen für den Ausbau seines Gewerbes vorfand.

Inhaber Gotthard Richter führt in seiner
Krumhermersdorfer Firma auch
Lohnschnittarbeiten für die
Bevölkerung aus. Foto: Freyer
Er zog mit seiner Familie in die Mühle und Bäckerei Simon, da er dort Wasserkraft nutzen konnte. Kurz danach konnte der Geschäftsmann das heutige Hausgrundstück Talstraße 18 erwerben. Hier entstand ein moderner, auf Holzverarbeitung spezialisierter Betrieb. Als erstes Erzeugnis wurden nach den Erinnerungen des jetzigen Inhabers Gotthard Richter Schuhputzkästen hergestellt und erfolgreich abgesetzt. Für den Eigenbedarf baute sich der Gründer der Firma etwa 1908 ein Horizontalgatter. Im Jahre 1919 modernisierte und erweiterte er seinen Betrieb durch die Anschaffung eines Vollgatters. Die Firma nannte sich nun "Hermann Lindner, Sägewerk und Handwagenfabrik". In den folgenden Jahrzehnten bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts war die Fertigung von Hand- und Tafelwagen der Hauptanteil des Produktionsprogrammes. Dazu gehörte in den Wintermonaten die Fertigung von Skiern und Schlitten.

Nach dem Tod von Hermann Lindner 1926 führte seine Witwe Anna den Betrieb weiter. 1944 übernahmen zwei Söhne und Schwiegersohn Kurt Richter den Betrieb als offene Handelsgesellschaft (OHG). In der Nacht zum 15. Februar 1945 wurde die OHGHandwagenfabrik Hermann Lindner durch Fliegerangriffe vollkommen zerstört. Es blieb nur die Information an Geschäftspartner, Lieferer und Kunden, daß auf unbestimmte Zeit nicht mit der Ausführung von Aufträgen und der Wahrnehmnung von Bezugsrechten zu rechnen sei.

Unmittelbar nach Kriegsende ergriffen die Inhaber die Initiative zum Wiederaufbau. Es wurde ihnen jedoch nur der Aufbau eines Teiles der Gebäude gestattet. Mit Hilfe der geborgenen Maschinen und Aggregate begann erneut die Herstellung von Holzerzeugnissen. Die Produktion von Wagen für den Bedarf der Bevölkerung bildete bald erneut den Schwerpunkt.

Die Handwagenproduktion wurde wegen Absatzmangels in den 70er Jahren eingestellt. Die dem Privatbetrieb zugestandenen Beschäftigten waren insbesondere mit der Herstellung von Holzspielwaren beschäftigt. Da sich diese Anforderungen seit den 60er Jahren laufend erhöhten, konnte der Betrieb bis 1989 den Bedarf kaum abdecken. Besonders waren es Puppenschlitten, die zu Tausenden produziert wurden. Für den VEB Plasticart wurden in den 80er Jahren Puppenwiegengestelle in Großserien gefertigt.

Mit der Wiedervereinigung kam für den Betrieb der totale Einbruch, über Nacht gab es praktisch keinen Abnehmer mehr. Obwohl bereits im Rentenalter, gibt Gotthard Richter, Inhaber, Meister, Arbeiter und Angestellter in Personalunion, nicht auf. Er fertigt weiter Puppenschlitten, fand neue Abnehmer. Daneben werden mit den alten, noch voll funktionsfähigen Sägegattern Lohnschneidearbeiten ausgeführt. Er hofft, daß sich aus der Enkelgeneration ein Nachfolger findet, der die Tradition aufrechterhält.