Der Stülpner-Karl

Der berühmt-berüchtigte Wildschütz
brachte ein Stück Welt ins Erzgebirge

(Reinhold Lindner 1991, gekürzt)

Die Scharfensteiner stecken ziemlich drin in ihrem engen Tal, aber ihr berühmtester Dorfgeselle von einst kam weit hinaus, obwohl nun gerade er in Scharfenstein ganz unten auf die Welt kam Wo die Zschopau sich wieder aus den Felsen befreit und den Ort verläßt, dort steht ein Gedenkstein, er erinnert an das Geburtshaus Stülpners, dessen Vorfahren aus Krumhermersdorf kamen, und das Schicksal des weitgereisten Scharfensteiners wollte es, daß er nur einen Steinwurf von seinem Geburtshaus entfernt starb. Das war am 24. September 1841, vor 150 Jahren. Das Sterbehaus steht noch, das Haus seiner Geburt ist längst abgerissen.

Stülpners Leben hat sich völlig anders als das seiner Zeitgenossen gestaltet, nicht nur dadurch, daß er rebellierender Wildschütz wurde. Das Besondere seines Schicksals ist nicht allein in den überlieferten Legenden zu suchen, in den Stülpner-Geschichten, von denen es in den ernsthaften Lebensbeschreibungen nicht mehr als 18 gibt. Wahrscheinlich ist manches im Laufe der Jahrzehnte hinzugedichtet worden. Stülpner war offensichtlich nicht aufs Maul gefallen, er dürfte ein guter Erzähler gewesen sein, als genauer Berichterstatter muß er selbst dem Feldherrn Herzog Ferdinand von Braunschweig ziemlich imponiert haben. In dieser Kriegsepisode aus Frankreich finden sich auch selten anzutreffende Persönlichkeitsschilderungen zu Stülpner, da ist von "Gewandtheit und Offenherzigkeit" die Rede, von der "ihm angeborenen dreisten Offenheit".

Mit diesem Stülpner nun saßen die Leute zusammen, im Wirtshaus oder anderswo, und was hatte der nicht alles mitzuteilen. Man kann sich das Staunen vorstellen, wenn dieser Mann von Ungarn erzählte und berichtete, wie es in Bayern ist oder in Berlin. Stülpner hatte es in böhmische Gegenden gelockt, er kam nach Hannover, schlug sich nach seiner Verwundung bei Kaiserslautern quer durch die Pfalz, Hessen, Thüringen nach Hause durch, er kannte Wien, Tirol und die Schweiz.

Für die älteren Scharfensteiner hingegen sah das schon anders aus, denn da gab es nicht allein die ehrenvolle, ortsstolze Stülpner-Begeisterung. Die Alten wußten so manchen Groll gegen den Sohn des Dorfes aus der Überlieferung ihrer Vorfahren, die den greisen Stülpner zu versorgen hatten, und das war freilich für manchen eine Last. Er wurde von 1839 an hinfällig und halbblind von einem zum anderen gegeben.

Stülpners Grab
Eine Wegstunde von Scharfenstein entfernt, in Zschopau, war indes Stülpner kurz vorher, mit 74 Jahren, noch einmal Vater geworden, und wenn auch die Verführung eines 24jährigen Mädchens durch ihn erst viel später nachzuweisen war, der Ruf, er habe herumgehurt, gesoffen und auf Kosten anderer Leute gelebt, dieser Ruf hing ihm noch in der Mitte unseres Jahrhunderts an. Zumindest in Scharfenstein. - Die Wolkensteiner Schützengilde mit Schneider Hampel an der Spitze hat sich zwar lächerlich gemacht mit ihrem kläglichen Versuch, den Wildschützen einzufangen, aber sie haben es versucht und waren gewiß nicht die einzigen, die lieber Stülpner hinter Schloß und Riegel gesehen hätten.

Trotzdem brachte er es zu lokaler Berühmtheit, brachte ein Stück Welt in die Abgeschiedenheit der erzgebirgischen Häuser, seine Übereinkunft mit den einfachen Leuten entstand aus Stülpners Rebellion, seine Welterfahrung tat ein übriges; denn Stülpner sah die Welt und seine Zeit mit offenen Augen. Und wer die Welt gesehen hatte, dem glaubte man auch manche erdachte Story.