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Ute Dietrich
Die Kirchenbuße für Sittlichkeitssünder
Verfehlungen der strengen Moralnormen
wurden zur Abschreckung hart geahndet


Freie Presse vom 30.4./1.5.1998, Seite Saxonia. Chemnitz 1998

Aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind gehäuft Sittlichkeitsprozesse überliefert, die sich in Amtsstrafe und Kirchenbuße für die Betroffenen aufgliedern. Die durch die Entdeckung Amerikas eingeschleppte "Lustseuche" breitete sich vor allem auch durch die völlig aufgelösten gesellschaftlichen Verbindungen im Dreißigjährigen Krieg, der ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands das Leben kostete, hemmungslos aus. Schon vorher waren die zuweilen zwanglosen Gebräuche des Mittelalters, wie etwa die gemeinsamen Badestuben für das ganze Dorf, durch strenge Kirchenzucht abgeschafft worden. Das hatte nicht nur sittliche Gründe, sondern ursprünglich vor allem praktische Ursachen. Mit dem Aufflammen großer Seuchen wie der Pest verbot sich das gemeinsame Massenbad von selbst.

Jegliche Verfehlung der strengen Moralnormen wurde streng geahndet. Die amtlichen Strafen für die Betroffenen waren zur Abschreckung besonders hart. Ehebruch wurde mit Landesverweis geahndet. Dabei traf es die Frau oft besonders hart. Zumeist waren es Mägde, die mit dem Bauern, bei dem sie dienten, ein Verhältnis hatten, das sich nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Abhängigkeit begründete. Wurde eine solche Beziehung ruchbar, stellte man die arme Frau an den Pranger, strafte sie öffentlich mit Staupenschlägen und verwies sie des Landes. Der Mann konnte sich dagegen oft mit Geldbeträgen, die der Kirche zugute kamen, von der Landesverweisung freikaufen. Für vorehelichen Verkehr waren zudem harte Gefängnisstrafen vorgesehen.

Die Kirchenbuße wurde aber von den "Sündern" noch mehr gefürchtet, wurden die Betroffenen doch hierbei vor der ganzen Ortsgemeinschaft bloßgestellt. Sobald die amtlichen Strafen abgebüßt waren, meldete das Amt den "Fall" dem zuständigen Pfarrer. Bis diese Person nicht Buße in der Kirche tat, war sie von der Beichte und dem Abendmahl ausgeschlossen. Die Angst, ohne Sündenvergebung zu sterben, trieb die Verurteilten früher oder später zum Pfarrer.

Das Schauspiel der Buße wollte sich niemand entgehen lassen, zumal die begangenen Sünden und Laster ausführlich von der Kanzel herab gegeißelt wurden. Vor der versammelten Gemeinde mußten die Büßenden, gut sichtbar für die Anwesenden, vor dem Altar knien und wurden namentlich benannt. Dabei wurde ein Bußlied gesungen, das Abendmahl wurde dem Verurteilten als Letztem gewährt. Diese Schande und Demütigung war schlimmer als jede vom Amt verhängte Strafe.

Selbst wenn bei beginnender Schwangerschaft das Mädchen von seinem Liebhaber geheiratet wurde, entging das junge Paar der Strafe nicht völlig. Die Gefängnis- oder Geldstrafe wurde zwar reduziert, aber eine Zahlung zugunsten des Kirchenvermögens, weil die junge Ehefrau "zu zeitig" niederkam, war üblich.

Schon 1727 fand der Lichtensteiner Graf Otto Wilhelm, die Kirchenbuße sei eine "lächerliche Aufführung". Er empfahl den Geistlichen in seinem Herrschaftsbereich Großzügigkeit, was den Pfarrern nicht leicht fiel, waren doch Bußgelder eine beträchtlich Einnahmequelle für die Kirche.

1756 wurde die Kirchenbuße mit kurfürstlicher Verordnung aufgehoben, mit der denkwürdigen Begründung, daß sich Abtreibungen, Kindesmorde und Aussetzungen häuften. Die Amtsstrafe blieb. Bis etwa 1830 ist aber nachgewiesen, daß abgeschwächte Formen der peinlichen Buße weiterbestanden. Die Eltern von Kindern, die allzu rasch nach der Hochzeit das Licht der Welt erblickten, wurde auf das Pfarramt bestellt und des "öffentlichen Ärgernisses" bezichtigt. Mit einer Strafzahlung wurde diese Angelegenheit dann aus der Welt geschafft.