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Volkmar Geupel
Rätselhafte Geschichte der verschollenen Burg Nidberg


Erzgebirgische Heimatblätter 1, 1, S. 18 ff, Marienberg 1979

"Die rätselhafte Geschichte der verschollenen Burg Nidberg" war der Titel eines Aufsatzes von J. Seyffarth (1), in welchem er das damalige Wissen über eine mittelalterliche Burg zusammenfaßte, die in der historischen Forschung zu den Anfängen der Besiedlung im Raum um Zöblitz eine besondere Rolle spielt. Der Nidberg erscheint in einer urkundlichen Quelle des 13. Jahrhunderts, seine chronikalisch überlieferte Identität mit dem Gelände am "Löwenkopffelsen" westlich von Zöblitz aber war umstritten. In der Zusammenschau von schriftlichen Nachrichten und archäologischen Funden gelangte der Autor zu dem Schluß, daß die Gleichsetzung des "Löwenkopfes" mit dem Standort des Nidberges richtig ist. Die Bestätigung seiner Ansicht - und darüber hinaus: Modifizierungen im Detail - erbrachten Untersuchungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden in den Jahren 1976-78.

Der Löwenkopf-Felsen bei Zöblitz. Auf ihm stand einst die Burg Nidberg, von der unser Beitrag berichtet. Wie kommt der Felsen zu seinem eigenwilligen Namen? Schaut man von der Ladestraße des Zöblitzer Bahnhofshinauf zum Felsen, so findet man mit ein klein-wenig Phantasie den Grund: Deutlich erkennt man den Kopf des Raubtieres - vor allem Nase und Auge.
In welchem geschichtlichen Zusammenhang ist die Burg Nidberg zu sehen und welche Funktion hatte sie?

Am 23. Juli 1292 wurde von Heinrich, Abt des Klosters Hersfeld, eine Urkunde ausgestellt, die Markgraf Friedrich von Meißen (der Freidige) erbeten hatte, um seine Position lehensrechtlich zu festigen. In der Urkunde werden dem Wettiner seine Rechte am Landbesitz des Klosters im mittleren Erzgebirge bestätigt, für den foIgende Grenzbeschreibung gegeben wird (2): Der Besitz der Hersfeldischen Kirche fängt an wo die Große Striegis entspringt, entlang dem Laufe jenes Flusses bis zur Mulde und muldenabwärts bis zur Zschopau und die Zschopau aufwärts bis zum alten böhmischen Steig, der das Besitztum (der Klöster) Chemnitz und Hersfeld trennt, und jenen Steig entlang bis zur Pockau, die Pockau aufwärts bis nach Nidberg, das Werner gebaut hatte, und von dem Fluß, der vor Nidberg vorbeifließt, bis zur Striegis .... Als Vorlage diente eine Randnotiz zu der Urkunde von 981 in welcher Kaiser Otto II. die Burgwarde Döbeln und Hwoznie dem Kloster Memleben schenkt, im Kopialbuch dd. Klosters. Die detaillierte Aufzeichnung des Grenzverlaufes im Westen mit der Erwähnung des (1137 gegründeten) Klosters Chemnitz findet im Osten kein Gegenstück. Hier grenzt ab 1162 das Gebiet des Klosters Altzella an. Die historisch-archivalische Forschung hat daraus geschlossen, daß die Randnotiz in der Zeit zwischen beiden Klostergründungen geschrieben worden sein muß, also etwa in der Mitte des 12. Jahrhunderts. (3)

Zu dieser Zeit begann im westlichen und mittleren Erzgebirge und seinem Vorland die Erschließung des Reichslandes Pleißen, mit dessen Errichtung die Zentralgewalt unter König Friedrich Barbarossa (1152-1190) der aufstrebenden Landesherrschaft der Markgrafen von Meißen zu begegnen versuchte. Die Besiedlung neuen Bodens erfolgte hier zielgerichtet von der Reichsburg Altenburg aus geplant, in königlichem Auftrage. Reichsministerialische Feudalherren lenkten die Landnahme und sicherten durch den Bau von Burgen politische Macht und wirtschaftlichen Einfluß, bäuerliche Siedler führten die Rodearbeit durch, zu der die Minderung der Abgaben und der feudalen Abhängigkeit im Kolonisationsgebiet den Anreiz bot.

Für den Landesausbau im Raum um Zöblitz spielte ein alter Fernweg eine Rolle, der von Rochlitz und Chemnitz über Zschopau - Zöblitz - Rübenau nach Böhmen führte und in der schriftlichen Überlieferung als "alter böhmischer Steig" erscheint. Aus der oben zitierten Quelle geht hervor, daß der Nidberg im Bereiche jenes Weges an der Pockau - die Beschreibung läßt dabei nur eine am rechten Flußufer gelegene Anlage zu - gebaut worden war. Die Hersfelder Grenzbeschreibung mit der Erwähnung der Burg ist somit ein Zeugnis für die kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Kamm des Erzgebirges vorstoßende Besiedlungswelle, wobei der böhmische Steig die Leitlinie bildete. Es besteht kein Zweifel, daß wir als Teilstück dieses Fernweges den Hohlweg am westlichen Ende der Schloßbergstraße in Zöblitz anzusehen haben, der die Nordflanke des Bergspornes mit dem "Löwenkopf" begleitet. (4) Der als Erbauer des Nidbergs genannte Werner gehört, wie M. Kobuch aufzuzeigen vermochte, (5) in die pleißenländische Reichsministerialenfamilie von Erdmannsdorf, die im Gebiet um Zöblitz noch bis an die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert nachweisbar ist: 1299 in Forchheim und 1304 in Lauterstein. Nidberg war Ministerialensitz, und seine Verbindung mit dem böhmischen Steig weist ihn zugleich als Anlage des Straßenschutzes aus. In Funktion und Bedeutung stand er hinter dem etwa gleichalten Lauterstein zurück, der sich zum Herrschaftsmittelpunkt mit einem entsprechenden Feudalbezirk entwickelte. Im Zusammenhang damit dürfte Nidberg aufgegeben worden sein.

Wenden wir uns nun den Ausgrabungen zu. Ein 35 m langer Schnitt durch die Senke zwischen "Löwenkopf" und Feldscheune zeigte, daß im Mittelalter zwei 6 m bzw. 7 m breite und 3 m bzw. 1,5 m tiefe, aus dem Felsen ausgeschlagene Gräben sichelförmig die Klippe abschnitten. Zwischen beiden Gräben verlief ein an der Basis mehr als 5 m breiter, massiv gemauerter Wall, der stufenförmig - es konnten noch zwei Rücksprünge festgestellt werden - aus dem inneren Graben aufgeführt war; er bestand aus in Lehm gesetztem, an der Angriffsseite aber gemörteltem Bruchsteinmauerwerk. Dieses Befestigungssystem lag engräumig vor dem Felsblock (die Entfernung von dessen Fuß bis zum inneren Graben betrug nur 5,5 m). Die Wehranlage war demnach klein und beschränkte sich im wesentlichen auf den "Löwenkopffelsen", der das erhöhte Kernwerk der Burg darstellte und wohl einen turmartigen Bau trug. Die zahlreich angetroffenen Keramikreste sind dem 12. bis 14. Jahrhundert zuzuordnen. Die so erschlossene Anlage ist mit "Nidberg, das Werner gebaut hatte", identisch.

Blick von Osten durch die Senke vor der Felsklippe des »Löwenkopfes" mit Angabe des Grabungsschnittes (1) und des ungefähren Verlaufes der beiden Gräben (2, 4) sowie des Walles (3) und der Burg Nidberg; Im Vordergrund rechts die auf einem alten Turmfunda-ment errichtete Feldscheune
Demgegenüber ist das Fragment eines doppelten Graben-Wall-Systems im "Pfarrbusch" in Funktion und Zeitstellung noch nicht eindeutig bestimmbar. Dort befinden sich etwa 50 m bzw. 75 m vor dem äußeren Graben der Burg zwei aus Graben und dahinterliegendem Erdwall bestehende Befestigungsabschnmtte im Abstand von 10 m voneinander. Die Gräben waren ehemals ca. 5 m breit und 1 m tief, die Wälle etwa 4 m breit und 1 m hoch. Aus dem annähernd parallel zu den Befestigungswerken der Burg zu rekonstruierenden Verlauf könnte auf eine Vorburgumwallung geschlossen werden, die das Gelände des Wirtschaftshofes abgrenzte. In diesem Areal stand ein quadratischer Turm von etwas mehr als 6 m X 6 m Außenmaß, dessen Ruine heute von einer Feldscheune überbaut Ist. Aber noch eine andere. Deutungsmöglichkeit wäre zu erwägen: Ergänzt man den Kreisbogen, den die Wall- und Grabenabschnitte beschreiben, so gelangt man im Norden an die Hohle des böhmischen Steiges. Obwohl die Umgestaltungen des Geländes seit dem 19. Jahrhundert definitive Aussagen über das Verhältnis der Befestigungsbauten zu dem Weg in diesem Bereich verbieten, kann eine enge Bindung zwischen beiden angenommen werden, und es erscheint nicht abwegig, hier die 1323 für Zöblltz urkundlich bezeugte Zollstätte zu suchen. Auch der Standort des Turmes, der wiederholt Anlaß zu Spekulationen gegeben hatte, fände damit eine Erklärung. Die alte Deutung als „Bergfried“ des Nidbergs entfällt ohnehin, da er nicht in die Burg einbezogen war; aber auch die Vermutung J. Seyffarths, der einen Wachturm als Sichtverbindung zwischen Lauterstein und Zöblitz als zugehöriger Stadt annahm, befriedigt nicht, denn ein solches Bauwerk wäre am ehesten auf der Felsklippe des "Löwenkopfes" zu erwarten. So macht die Gesamtsituation wahrscheinlich, daß Weg, Graben-Wall-System und Turm im Zusammenhang gesehen werden müssen. Unsere Hypothese, in dem der Burg vorgelagerten umwallten Bezirk die erwähnte Zollstelle der Herrschaft Lauterstein zu vermuten, bedarf der Stütze durch weitere Forschungen, die auch das zeitliche Verhältnis zwischen beiden Anlagen klären müßten. Die wenigen Scherben - ausschließlich des 14. und 15. Jahrhunderts, die auf einer kleinen beackerten Fläche nordöstlich der Feldscheune gesammelt wurden, reichen noch nicht aus, um vorbehaltlos ein zeitliches Nacheinander von Burg und "Vorburg" zu postulieren.

Trotzdem manche Frage offenbleibt, so geht doch eines aus dem archäologischen Befund klar hervor: Die ergrabene Burganlage auf dem "Löwenkopf" ist mit dem Nidberg gleichzusetzen, den die Grenzbeschreibung des Hersfeldischen Eigens nennt. Seine sichere Lokalisierung ist ein Schritt auf dem Wege der Erkenntnis über die Anfänge der Besiedlung unserer Heimat.


  1. J. Seyffarth: "Die rätselhafte Geschichte der verschollenen Burg Nidberg“ in: "Der Heimatfreund für das Erzgebirge" Jg. 1972, S. 57 ff.
  2. M. Kästner, J. Schiller: "Zwischen Chemflitz und Freiberg Ein Heimatbuch für Schule und Haus" 1. Der Heimatboden und seine Besiedlung, Frankenberg 1928, S. 36 f.
  3. W. Schlesinger: "Die Anfänge der Stadt Chemnitz und anderer mitteldeutscher Städte", Weimar 1952, S. 44 f.
  4. Die Verbindung einzelner im Gelände erkennbarer Abschnitte läßt seinen Verlauf bei Zöblltz, von dem genannten Wegteil westlich der Stadt ausgehend, etwa wie folgt rekonstruieren. In südöstlicher Richtung: Schloßberg- und Wiihelm-Pieck-Straße mit dem Markt - 300 m hinter der Stadt die Straße als teilweise hohlenbildender Feldweg verlassend bis zur ehemaligen Köhlerei; in nordwestiicher Richtung: vom Wald überwachsene Hohle parallel zu dem zum Bahnwärterhaus führenden Weg - in dessen Nähe die Aue durchquerend (durch Bahnbau, Pockau-Regulierung und Talstraße unkenntlich, und den jenseitigen Hang im Forstrevier Schwarzwald erreichend (hier durch den sogenannten "Schwedengraben" und die bergbauliche Nutzung seiner Innenfläche verwischt) - unmittelbar westlich des "Schwedengrabens" als zwei bis drei nebeneinanderliegende Hohlen in Richtung Vorwerk Neudeck ziehend. (d. A.)
  5. M. Kobuch: "Die Burgruine Lauterstein", in: Sächsische Gebirgsheimat, Kalender 1978, Blatt 25.09. - 01.10.1978