Literatur
Drucke

Johannes Leipold
Geschichtliche Leitlinien der
Besiedlung des mittleren Erzgebirges


800 Jahre Chemnitz / Karl-Marx-Stadt, Karl-Marx-Stadt 1965
steht im Chemnitzer Stadtarchiv

... Was ergibt sich aus diesem Befund für die Siedlungsgesdiichte des Erzgebirges? Nur für eine Örtlichkeit in seinem Bereich hat man eine frühe deutsche Siedlungstätigkeit angenommen, nämlich für einige Dörfer des Blankenauer Grundes in der Nähe des um 1137 gegründeten Klosters Chemnitz, vor allem für Droisdorf und Glösa45) wie man dort auch noch früher eine spärliche slawische Besiedlung angenommen hatte. Beides ist abzulehnen, vor allem rechtfertigen die Formen der beiden Fluren diese Annahme nicht (siehe S. 88 dieses Buches). Nach der ganzen, durch die hier angezogenen urkundlichen Nachrichten schlaglichtartig beleuchtete Situation ist diese Annahme nicht möglich. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist der Siedlungsvorgang nur innerhalb des Altsiedlungslandes festzustellen und dann auch nur vereinzelt und wahrscheinlich in noch wenig planvollen, alten Formen. Auf sächsisch-ostthüringischem Boden kommt dann in der Mitte des Jahrhunderts eine großzügigere Siedlung zunächst in Gewann- und dann in Gelängefluren in Gang. Es ist eindeutig, daß das Erzgebirge erst in der Zeit der Hochkolonisation in die mittelalterliche Siedlungsbewegung einbezogen worden ist. Was sagen die Urkunden über die zeitliche Einordnung?

Auch aus dieser Zeit des 3. Viertels des 12. Jahrhunderts müssen die Beispiele der Siedlungstätigkeit aus peripheren Teilen unseres engeren Arbeitsgebietes genommen werden. Zwischen 1156 und 1162 ließ Markgraf Otto von Meißen im Gebiet zwischen der Mulde bei Nossen und dem späteren Freiberg die Wälder roden und das Land mit einem Netz von Waldhufendörfern überziehen.46) Im Süden dieses Gebietes ließ er eine Burg bauen, und zwar an der Stelle des späteren Freiberger Turmhofes. Die Burg war auch als Ausgangspunkt für die Kolonisation des höheren Gebirges gedacht. Hier tritt uns erstmals der enge Zusammenhang zwischen Siedlung und Herrschaftsbildung entgegen. Freilich übergab er im Jahre 1162 dieses ganze Rodungsgebiet, das mit 800 Hufen angegeben wurde, den von ihm gegründeten Kloster Altzelle (südlich Nossen). Als jedoch in den Jahren kurz nach 1180 in Christiansdorf Silber fündig wurde, nahm er dieses ganze Gebiet aus dem Altzeller Klostergebiet wieder heraus. Es entstand hier die Bergstadt Freiberg. Dieser bedeutende Siedlungsvorgang im östlichen Erzgebirge ist überhaupt der erste im Gesamterzgebirge. Zum Jahre 1168 erfahren wir von der Rodung der Wälder südlich Rochlitz47) ...


... Mittelspersonen bedienten, die die siedlungswilligen Leute um sich sammelten, sie in die neue Heimat führten und noch den Weisungen des jeweiligen adligen Herrn an vorher bestimmter Stelle ansetzten. Diese Führer der Siedlergemeinschaften, für die der lateinische Ausdruck locator überliefert ist, werden dann auch das Land im einzelnen verteilt, wie überhaupt die praktischen Arbeiten der Rodung, der ersten Feldkulturen und des Hausbaues geleitet hoben. Als Entschädigung für diese maßgebliche Arbeit erhielten sie zumeist ein größeres Stück Land zugewiesen oder auch gewisse Vorrechte übertragen (z. B. Brau- und Gasthofsgerechtigkeit). Es ist weiter vermutet worden, daß die späteren Erbgerichte aus den Anwesen jener Bauernführer der Siedlungszeit erwachsen sind.

Das Siedlungswerk war ein Unternehmen, das sich nicht sofort bezahlt machte. Es vergingen Jahre, ehe das den Bauern zugewiesene Land gerodet war und erste Frucht trug und ehe dann die Ernten ein über die Sicherung des Existenzminimums hinausgehendes Ergebnis brachten. So wurde den Siedlern wohl in jedem Fall eine gewisse Zeit, die um 10 Jahre herum geschwankt haben mag, Abgabenfreiheit zugestanden. Erst dann waren von den Bauern dem Herren oder dem jeweiligen Siedlungsunternehmer Leistungen zu bringen, die zwischen diesem und der Siedlergemeinschaft vorher vereinbart worden waren.

Die Siedler waren im Gegensatz zur Unfreiheit der Hörigkeit und Leibeigenschaft in anderen deutschen Gegenden persönlich frei, d. h. sie konnten im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Stellung damals noch frei über sich und ihre Angehörigen verfügen: Sie besaßen ihr Gut aber nicht in völligem Eigentum, sondern im Rechtsverhältnis der sogenannten freien Erbzinsleihe. Sie konnten es nach ihrem Gewohnheitsrecht zwar vererben, doch beim Aussterben ihrer Familie (d. h. wenn beim Tode des Besitzers kein blutsverwandter Nachkomme, keine Ehefrau oder kein Elternteil vorhanden war) fiel es dem Erbherrn anheim.

Sie waren dem Herrn für die Nutzung ihres Gutes zu Abgaben und Diensten verpflichtet. Die Abgaben werden anfänglich wohl ausschließlich in Naturalien geliefert worden sein. Erst im Laufe der Jahrhunderte wurden sie durch Geldleistungen abgelöst und vielfach erhöht. Die Dienstleistungen waren zumeist drückender, doch örtlich verschieden. Die Bauern waren verpflichtet, die Wirtschaftshöfe, die Felder des Adels und der geistlichen Stiftungen zu bestellen und alle anderen Handarbeiten für ihre Herren wie z. B. Baufronen, Fuhren u. a. vorzunehmen.

Beim Wechsel des Lehnsherrn und auch des bäuerlichen Inhabers des Gutes mußten dem ersteren stets der sogenannte Lehnspfennig gegeben werden, eine stete Erinnerung an den minderen Besitztitel der Bauern. Alle anderen Lasten und Pflichten, die den Bauern in späteren Zeiten vom Feudalherrn aufgebürdet waren, sind das Ergebnis einer späteren Entwicklung, also einer zunehmenden sozialen Verschlechterung der Lage der Bauern, vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Daraus ergibt sich, daß die neuen Siedlungen auf Rodungsboden durch die Natural- und Arbeitsleistungen der Bauern für den Siedlungsunternehmer einen beträchtIichen Vermögenswert darstellten.

Natürlich ging das nicht ohne eine bestimmte Kapitalinvestition - wenn man das einmal, nicht ganz zutrefferrd, so bezeichnen darf - vor sich, denn die oben angedeutete organisatorische Vorarbeit, die Überführung derSiedIer und ihre Unterhaltung in der ersten Zeit erforderten einige Mittel. Die adIigen Unternehmer mußten eine ökonomische Basis außerhalb des neuen Siedlungsfeldes besitzen Und so finden wir unter diesen erzgebirgischen Siedlungsunternehmern naturgemäß AdeIsfamilien, die im nördlichen und östlichen Thüringen oder im mittleren Sachsen begütert gewesen sind.


44) Schlesinger, 1962, Bd. II, S. 15
45) Löscher und Voigt. a.a.O., S. 77 f. Vgl. auch meine Stellungnahme dazu auf S. 88 Anm. 6
46) Langer 1931, S. 189 ff. - Schleslnger 1962: Bd. II, S. 18
47) Schlesinger 1962, S. 18. Bei der Stiftung des Augustinerchorherrenstiftes Zschillen werden hier Neubrüche genannt (Schleslnger 1962, Bd. II, S. 228), doch werden das noch keine planmäßigen Rodungen gewesen sein.