Gifte der Nachtschattengewächse


Dr. Dieter Martinetz, Forschungsstelle für Chemische Toxikologie der AdW der DDR, Leipzig
Veröffentlicht in "Wissenschaft und Fortschritt" 12/1982 S. 221
Akademieverlag Berlin (Ost)


In der Kulturgeschichte des Altertums und des Mittelalters, aber auch bei vielen Naturvölkern haben die Nachtschattendrogen einen ganz besonderen Platz eingenommen.

Die berauschende Wirkung verschiedener Vertreter wurde schon frühzeitig erkannt und auf unterschiedlichste Weise mißbraucht. „Hellsehen" und „Gespräche mit den Göttern" gehörten ebenso dazu wie Halluzinationen, die mit mittelalterlichen Hexensalben erzeugt wurden, oder religiöse Rauschzustände peruanischer Indianer.

Schwarze Tollkirsche, Schwarzes Bilsenkraut und Gemeiner Stechapfel sind wohl in unseren Breiten neben der im Mittelmeer-Raum beheimateten Alraune die am stärksten geheimnisumwitterten Vertreter der Nachtschattengewächse. Der Gattungsname „Atropa" stammt aus dem Griechischen. Atropos war die dritte der drei Schicksalsgötlinnen (Parzen), in deren Händen das unabänderliche Geschick, Leben und Tod des Menschen lagen. Die Bezeichnung er Art "Belladomia" ist dem Italienischen entnommen und bedeutet "schöne Frau". Dies könnte darauf zurückzuführen sein, daß der rote Saft Tollkirsche in früherer Zeil gern zum Schminken verwendet wurde. Möglicherweise ist dieser Name aber auch eine Anspielung auf einen mittelalterlichen Mißbrauch von Tollkirschenextrakt: Vornehme Damen träufelten ihn sich in die Augen. Dadurch wurden die Pupillen erweitert, und solche "strahlenden" Augen galten als schön - ungeachtet der dabei auftretenden Sehstörungen. "Hyoscyamus" stammt ebenfalls aus dem Griechischen (Hyoskyamos) und bedeutet Schweinebohne. Entweder wurde der Name nach der bohnenähnlichen Gestalt der Kapseln gewählt, oder aber nach den halluzinogenen Eigenschaften, zu denen auch die Suggestion der Verwandlung in Tiere gehört. Homer beschreibt z.B., daß die Gefährten des Odysseus durch die betäubenden Säfte im Mahl der Zauberin Kirke in Schweine verwandelt wurden. Die Namensgebung könnte mit dieser Eigenschaft im Zusammenhang stehen.

Alle Organe von Tollkirsche und Bilsenkraut enthalten (S)-Hyoseyamin (1), in geringen Mengen auch Atropin und Scopolamin (neben verschiedenen für die Giftwirkung unbedeutenden Nebenalkaloiden). Das (S)-Hyoscyamin kann leicht zum (RS)-Hyoscyanun. dem Atropin, racemisieren. Dieser Prozeß ist auch im Verlauf der Fruchtreife zu beobachten. Während die unreife Krucht vorwiegend (S)-Hyoscyamin enthält, liegt in der voll ausgereiften Frucht fast ausschließlich Atropin vor.

Der lateinische Name des Stechapfels deutet darauf hin, daß der Genuß der stacheligen Frucht "Raserei" erzeugt. Das vor allem in den Blättern und Samen enthaltene Hauptalkaloid ist wiederum das (S)-Hyoscyaniin; Scopolamin ist nur in geringen Mengen enthalten. Datura stammt ursprünglich aus Mittelamerika und wurde im 17. Jh. nach Europa eingeschleppt; andere Angaben besagen, daß die Zigeuner den Stechapfel im 16. Jh. aus dem asiatischen Raum mitbrachten. Alle genannten Alkaloide gehören nach ihrer chemischen Struktur zu den Tropanalkaloiden. Wirksam werden sie sowohl bei oraler Aufnahme - durch Kauen von Pflanzenteilen oder Genuß von Teezubereitungen - als auch dermal (durch die Haut) - beim Einreiben mit Salben aus den betreffenden Pflanzen. Dabei wirkt das Atropin auf das Zentralnervensystem ausgesprochen anregend, das Scopolamin mehr dämpfend. Da die Alkaloide in den einzelnen Pflanzen und Pflanzenteilen in unterschiedlichen Anteilen enthalten sind, zeigt der Berauschte je nach aufgenommener Droge entweder starke Erregung - er singt und tanzt und unterhält sich angeregt mit nicht vorhandenen Personen -, oder er versinkt in einen Trancezustand und wirkt wie ein Hypnotisierter (mit stark unterdrückter Willenskraft und leichter Zugänglichkeit für Suggestionen, jedoch bei voller Sprechfähigkeit). Der Rausch geht zumeist in einen tiefen Schlaf über, mit lebhaften, als Wirklichkeit erlebten Träumen (häufig Tierverwandlungen, erotische Träume oder Flugtraum).

Die Tropanalkaloide sind halluzinogene Stoffe. Auch das Cocain, ein bekanntes Rauschgift aus dem Cocastrauch, hat die Grundstruktur des Tropans.

Der Mediziner unterteilt die Halluzinogene weiter und zählt Atropin, Hyoscyamin und Scopolamin zu den Delirantia (eine zweite Gruppe sind die Psychodelica - wie Lysergsäure-, Tryptamin- und Phenylethylamin-Derivate). Delirantia sind Ester von araliphatischen Hydroxycarhonsäuren mit cyclischen Aminoalkoholen. Strukturell sind sie verwandt mit dem Neurolransmitter (2) Acetylcholin.

Der wesentliche Unterschied zu den Psychodelica besteht darin, daß fast alle Phänomene des Rauschzustands als "Wirklichkeit" erlebt werden; unter dein Einfluß von Psychodelica wird dagegen alles vom Standpunkt des "Beobachters" aus empfunden. Unter Delirantiaeinfluß werden bedrohliche Bilder meist gelassen hingenommen, während harmlose mitunter Angst und Panik auslösen können, und nach dem langsamen Abklingen des Rausches bleibt keine Erinnerung an die Höhepunkte. Sehr häufig sind das VerwandIungsphänomen (der Berauschte fühlt sich in ein Tier verwandelt), das Flugphänomen und die Halluzination der Anwesenheit fremder, oft furchterregender Personen.

Angesichts ihrer Eigenschaften können einige Delirantia auch als potentielle Psychkampfsloffe mißbraucht werden.

Sehr wahrscheinlich sind die Delirantia starke Acetylcbolin-Antagonisten, die in zentralen Teilen des Mittelhirns wirksam werden; jedoch dürften andere - bisher noch unklare - Mechanismen ebenfalls das Gesamtwirkungsbild mitbestimmen.

Sehr anschaulich berichtete S. Ferckel 1954 über einen (nicht ungefährlichen) Selbstversuch mit einer „Hexensalbe", deren altes Rezept er zufällig erhalten hatte. Nachdem er sich den gesamten Brustbereich mit der Salbe eingerieben hatte, bekam er sehr rasch deren starke Wirkung zu spüren: "Es vergingen nun keine 5 Minuten, bis mein Herz wie rasend zu schlagen anfing und mich ein starkes Schwindelgefühl überkam . . . mein Gesicht war vollkommen entstellt: die Pupillen fast so groß wie die ganzen Augen, die Lippen bläulich und dick geschwollen und das ganze Gesicht kreideweiß . . . Plötzlich begannen die Wände und die Zimmerdecke sich wellenförmig zu bewegen und mit lautem Knall zusammenzuschlagen ... Aus dem Dunkeln strebten mir Gesichter zu ... Langsam wurde es vollkommen dunkel um mich, und ich schwebte mit großer Geschwindigkeit aufwärts. Es wurde wieder hell, und durch einen rosa Schleier erkannte ich verschwommen, daß ich über der Stadt schwebte. Die Gestalten, die mich schon im Zimmer bedrückt hatten, begleiteten mich auch auf diesem Flug durch die Wolken. Immer mehr kamen hinzu und fingen an, um mich herum Reigen zu tanzen . . ."

Diese Beschreibung ähnelt in den Grundzügen denen, die sich in den Verhörprotokollen der Hexenprozesse des 13. ... 18. Jh. finden. Wenn auch die genaue Zusammensetzung der Hexensalben heute nicht mehr zu ermitteln ist, gilt es doch als sicher, daß Tollkirsche und Bilsenkraut die Hauptbestandteile waren, nach seinem "Einzug" in Europa auch der Stechapfel.

Diese Art von Salben war aber keineswegs eine Erfindung des Mittelalters. Sie dürfte bereits im klassischen Altertum angewendet worden sein, wie aus den Schriften antiker Dichter und Philosophen abzuleiten ist. Homers Odysseus wurde bereits erwähnt. Auch in den Schriften des griechischen Satirikers Lukian (120 bis um 180 u.Zt.) finden sich derartige Hinweise. So schreibt er in "Lucius oder der Esel" über eine Zauberin: "... Hierauf öffnete sie eine ziemlich große Kiste, worin eine Menge Büchsen waren, und nahm eine davon heraus, was eigentlich darin war, davon kann ich nichts sagen, als daß es mir, dem Ansehen nach, Öl zu sein deuchte. Damit schmierte sie sich nun am ganzen Leibe ein, von den Nägeln an den Füßen bis zum Wirbel, und plötzlich brechen ihr am ganzen Leibe Federn hervor, ihre Nase wird ein hörnerner, krummer Schnabel, sie bekommt alles, was zu einem Vogel gehört und ihn von anderen Tieren unterscheidet, mit einem Worte, sie hört auf zu sein, was sie war, und ist in einen Nachtraben verwandelt. Kaum sah sie sich befiedert, so gab sie den widerlich krächzenden Ton von sich, der diesen Vögeln eigen ist, erhob sich in die Luft und flog zum Fenster hinaus."

Hier haben wir wieder das erwähnte Tierverwandlungsphänomen (kombiniert mit dem Flugphänomen). Einige Pharmakologen meinen, dieses Phänomen werde dadurch gefördert daß in "Hexensalben" Präparate des Blauen Eisenhutes und somit das Alkaloid Aconitin enthalten war. Das Aconitin erregt zunächst die sensiblen Nervenenden der Haut; später lähmt es sie. Dadurch kann (besonders im Rausch) durchaus das körperliche Gefühl des Wachsens von Federn oder eines Fellkleids entstehen.

Aus heutiger Sicht waren die "Hexensalben" des Mittelalters nichts anderes als ein kostenloses Rausch- und Genußmittel der ärmsten Teile des Volkes, die mit der (noch dazu als Wirklichkeit erlebten) Halluzination von Flug, Verwandlung (z.B. Werwolf-Glaube: die Verwandlung in einen alles zerreißenden, rächenden Wolf), festlichem Gelage, Tanz und Erotik ihrem trostlosen Leben zu entfliehen versuchten.

Auch in anderen Erdteilen und bei den unterschiedlichsten Völkerschaften waren (und sind z.T. noch) Nachtschattengewächse als Rauschmittel bekannt. So rauchen australische Eingeborene Blätter einer Duboisia-Art, afrikanische Negerstämme die Blätter des Stechapfels Datura fastuosa, während die Eingeborenen von Peru und Kolumbien aus dem Roten Stechapfel (Datura sanguinea) den sog. Tongatrank brauten. In vielen Gegenden wurden andere Domra- oder Hyoscyamus -Arten auf verschiedene Weise als Rauschmittel verwendet. 1770 berichtete Gmelin von einer Rußlandreise, daß Kosaken Stechapfelsamen ins Bier gaben, um dessen berauschende Wirkung zu verstärken. Eine solche "Verstärkung" des Bieres war bereits im alten China und bei anderen frühgeschichtlichen Völkern bekannt.

In Mitteleuropa dürfte früher das Bilsenkraut mancherorts kultiviert worden sein. Viele Ortsnamen deuten darauf hin: Bilsen (Holland), Pilsen (CSSR), Bilsendorf (BRD). Einem anderen Zweck als dem Bierzusatz dürfte es wohl kaum gedient haben; denn im Mittelalter scheint diese Kenntnis Allgemeingut gewesen zu sein. So gibt der Grimmelshausensche Simplicissimus im 32.Kapitel des ersten Buches zum besten: "Welcher aber ausdauern und am besten sauffen konnte, wüste sich dessen groß zu machen, und dünckte sich kein geringer Kerl zu sein; zuletzt dürmelten sie alle herum, als wann sie Bilsensamen genossen hätten." Die Polizeiverordnung aus dem mittelfränkischen Eichstätt verlangte 1507, daß die Brauer bei Strafe von 5 Gulden keine Bilsensamen ins Bier mischen sollten. Daß durch diesen Gebrauch viele akute und chronische Vergiftungen vorgekommen sein müssen, ist dem in Basel erschienenen Kraeuterhuch des Johann Theodor Tabernaemotanus zu entnehmen: "Bier mit Bilsensamen soll Niemand trinken denn diejenigen, so das Leben verwirkt haben, denn sie bringen Hirn wüten, Unsinnigkeit und bisweilen gähen Tod."

In verschiedenen Gegenden unserer Welt soll es üblich gewesen sein, derartige Drogen zum Scherz Speisen zuzumisehen, um sich dann am Rausch der anderen zu ergötzen (z.B. im alten Litauen).

Johann Baptist Porta berichtete 1581 in seiner in Neapel erschienenen Magiae naturalis darüber, wie man Menschen anläßlich festlicher Gelage zur Belustigung für einen Tag verrückt machen könne, ohne ihnen einen gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Als Mittel nennt er Alraune, Tollkirsche und Stechapfel.

Der Stechapfel soll in den vergangenen Jahrhunderten besonders unter den Zigeunern für ihre "Zaubereien" und "Weissagungen" beliebt gewesen sein. In einigen Gebieten des Nahen Ostens wurden Stechapfelsamen dazu verwendet, ein ausersehenes Opfer zu berauschen, um es dann ungestört ausrauben zu können.

Aus dem alten Rußland ist bekannt, daß man sich Gläubiger dadurch zugänglicher zu stimmen versuchte, daß man Bilsensamen auf die heiße Ofenplatte streute.

Die narkotischen Solanacecndrogen gehören auch zu dvn ältesten bekannten Aphrodisiaka, d. h. zu den Mitteln, aus denen "Liebestränke" bereitet wurden. Im Orient war es vorwiegend die Mandragorawurzel. Der hebräische Name "dudäim" deutet darauf hin: "düd" heißt lieben.

Hans Baldung-Grien: Bereitung der Hexensalbe
Hans Baldung-Grien: Bereitung der Hexensalbe
Solanaceensalben waren nicht nur im Mittelalter als Hexensalben im Gebrauch; bei verschiedenen Völkerschaften wurden damit auch religiöse Rauschzustände erzeugt - z. B. bei den Priestern des alten Mexiko. Andere Völker bevorzugten Teebereitungen - z. B. die Medizinmänner der peruanischen Indianer den Tongatrank. Die "erlebten" Visionen wurden nach dem Rausch als Gespräche mit den Göttern oder mit den Geistern der Ahnen interpretiert.

Auch bei verschiedenen Orakeln der griechischen Antike dürften Solanaceen eine Rolle gespielt haben - besonders bei den Orakeln des Apollon; die griechische Bezeichnung für Bilsenkraut "Apollinaris" ist von seinem Namen abgeleitet.

Führer beschäftigte sich intensiv mit den Berichten, wie in Delphi die Pythia (die Priesterin des Apollon) "hellsehend" wurde. Nach seiner Ansicht versetzte sich die Priesterin in denselben Rauschzustand, den peruanische Indianer mit Hilfe des Tongatranks erreichten. Auch dieser Umstand deutet darauf hin, daß in beiden Fällen die gleichen oder ähnliche Wirkstoffe verwendet wurden.

In den Konzentrationsbereichen, in denen die Tropanalkaloide Rauschzustände erzeugen, treten die verschiedensten toxischen Nebenwirkungen auf - von Trockenheit in Mund und Rachen bis zu Herzjagen und lang anhaltenden, schweren Sehstörungen. Konrad v. Megenberg warnte (wie Taheriiacinoiitanus) in seinem „Buch von der Natur" bereits im 14. Jh. vor den Bilsensamen: „Den Samen soll man keinem Menschen zu essen geben, denn er tötet und bringt das Siechtum der Vergessenheit, daß ein Mensch nur will schlafen und vergißt viel Ding."

Eine Atropinvergiftung beginnt mit allgemeiner Erregung, die sich rasch zu Tobsuchtsanfällen mit klonischen Krämpfen steigern kann. Übelkeit ohne Erbrechen. Herzklopfen, Glanzaugen bis zum völligen Versagen des Sehvermögens, trockene, heiße Haut und Schluckstörungen sind ebenfalls zu beobachten. Bereits nach dem Genuß von \ bis 20 Beeren der Tollkirsche kann der Tod durch Atemlähmung eintreten. Die Mortalitälsrate bei Vergiftungen beträgt 10%. Dabei sind Kinder besonders gefährdet, weil sie sich sehr leicht zum Genuß der leuchtend schwarzen Beeren verleiten lassen. Kinder spielen auch gern mit den klappernden Früchten des Stechapfels; aber bereits 100 der kleinen Samen sind für sie tödlich.

Die Wirkung von Atropin und Hyoscyamin ist also zum einen zentral erregend; andererseits ist sie aber auch peripher dämpfend, wie sich an der (einleitend erwähnten) Pupillenerweiterung zeigt.

Mitunter wurde Tollkirschbeerensaft auch zum Nachfärben von Rotweinen mißbraucht, wodurch ebenfalls Vergiftungen vorgekommen sein dürften.

Natürlich wurden Tropanalkaloide (ebenso wie viele andere Gifte) auch noch für andere Zwecke mißbraucht - bis bin zum Giftmord. Weltbekannt ist der verfilmte Kriminalfall des Dr. Hawley Harvey Crppen, der 1910 seine Frau mit Scopolamin ermordete. In geringer Dosierung (ca. 0,5 ... 2 mg) verwendet man Solanaceenalkaloide der Tropanstruktur auch medizinisch, um Krämpfe im Magen-Darm-Bereich zu lösen und um die Schleimsekretion der Atemwege zu hemmen (Narkosevorbereitung). Wegen seiner spezifisch hemmenden Wirkung auf das Brechzentrum eignet sich Scopolamin zur Bekämpfung der sog. Reisekrankheit (Übelkeit hei Schiffs-. Flug- und Auloreisen). Tollkirsch- und Bilsenkrautexlrakte werden auch heute noch hei Augenentzündungen, Asthma, Darmkoliken sowie gegen Bradycardie (3) und Parkinsonismus (4) genutzt. Dalurastramonium-Tinkturen dienen als Hypnotica und krampfstillende Mittel bei Asthma und Krampfhusten. Stechapfelblätter sind z. T. in sog. Asthma-Zigaretten enthalten.

Die Kartoffel und andere Solanum-Arten

Zur Gattung Solarium, die von Linne nach dem lateinischen Wort für "Trost, Beruhigung" benannt wurde, gehören außer der Kartoffel (Solanum tuberosum) auch verschiedenste wildwachsende Arten, in Mitteleuropa speziell der Bittersüße Nachtschatten (Solanurn dulcamara) und der Schwarze Nachtschatten (S. nigrum). Da die Gattung Solanurn die artenreichste der ganzen Pflanzenfamilie ist, nannte man die Familie Solanaceae.

In den Solanumarten sind als Wirkstoffe glycosidisch (5) gebundene Alkaloide mit dem Grundgerüst der Steroide (Steran) enthalten. Für die Giftwirkung ist besonders das a-Solanin verantwortlich. Konzentrationen < 0,01% sind allerdings für den menschen unschädlich. kartoffeln kann man daher mit ruhigem gewissen genießen, während ihre grünen beeren etwa 1 % solanin enthalten und demzufolge recht toxisch sind. auch kartoffelkeime und grüne kartoffeln haben einen beträchtlichen solaningehalt.

Der Wirkstoff wurde erstmals 1820 aus den Beeren des Schwarzen Nachtschattens isoliert; 1942 wurde seine Konstitution aufgeklärt, und 1954 fand man mit Hilfe chromatographischer Techniken, daß es sich um ein Gemisch aus 6 Alkaloidglycosiden handelt.

Die Kartoffel kam um 1565 aus Südamerika erstmals nach Spanien, um 1630 auch nach Deutschland. Zunächst wurde sie wegen ihrer hübschen Blüten als Zierpflanze gehalten. Erst zu Beginn des 19. Jh. erkannte man ihren Wert als Nahrungsmittel. Die Tomate gelangte bereits 1551 nach Europa und galt bis zum Ende des 19.Jh. (!) ebenfalls als Zierpflanze.

Die Aubergine (Solanum melongena) enthält gelegentlich ein weiteres Solanumalkaloid, das a-Solasonin, das auch in Solanumnrion vorkommt, die in tropischen und subtropischen Gegenden als Nahrungsmittel dienen.

Solanin wirkt örtlich stark reizend, nekrotisierend und hat - wenn es nicht über den Verdauungstrakt aufgenommen wird - eine hämolytische (blutzersetzende) Wirkung. Wird es in den Organismus resorbiert, hemmt es die Cholinesterase. Dadurch kommt es zu Erregungszuständen des Zentralnervensystems mit Muskelzittern und Krämpfen; die Körpertemperatur sinkt rasch ab, und im Koma führt Atemlähmung zum Tode. Die toxische Dosis für Erwachsene liegt bei etwa 25 mg. die tödliche Dosis bei etwa 400 mg (für Kinder liegen diese Werte niedriger). Leichtere Vergiftungen äußern sich in Brennen und Kratzen im Hals, Kopfschmerzen, Mattigkeit, Erbrechen, Leibschmerzen und Durchfall. Bei nichttödlichen Dosen werden auch die Nieren geschädigt.

Medizinisch wird Solanin nicht verwendet, wenngleich der Bittersüße Nachtschatten in der Volksmedizin aufgrund seiner diuretischen Wirkung als bewährtes Blutreinigungsmittel gilt. Auch manche Rheumatees enthalten junge Triebe dieser Pflanze.

Allerdings nutzt die chemische bzw. pharmazeutische Industrie Solasodin als Ausgangsprodukt für Steroidsynthesen. Tomatidin (ein ähnliches Aglycon, das u. a. in Tomaten vorkommt) dient als Ausgangsstoff zur Synthese von Cortison, Progesteron und Testosteron.

Tomatin (ein natürliches Glycosid des Tomatidins) wirkt antimykotisch und bakteriostatisch. Gelegentlich verwendet man es in Pflanzenschutzmittel-Zubereitungen. Auf Kartoffelkäfer wirkt es als Fraßgift.


  1. (R), (S), (RS) - einheitliche Kennzeichnung der Konfiguration von Molekülen aller Asymmetrie-Typen : sie gibt die räumliche Anordnung der Atome bzw. Atomgruppen um ein asymmetrisches (optisch aktives) C-Atom an. Racemformen werden durch (RS) gekennzeichnet.
  2. Neurotransmitter - chemischer Überträgerstoff in der Nervenreiz-Leitung
  3. Bradycardie - Verminderung der Herzfrequenz
  4. Parkinsonismus - Gehirnerkrankung, die u. a. zu Bewegungsarmut und Zittern der Extremitäten führt
  5. Glycoside sind Verbindungen aus einem Zucker und einer spezifischen, nicht zuckerhaltigen Komponente, die man als Aglycon bezeichnet.