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Geheimniskrämerei um die Wismut-Strahlung beendet
Bergbau-Altlasten bereiten Strahlenschützern Sorgen


Die Union 28.02.1990 Seite 3

Vielfältige Ängste und ein Wust von Gerüchten sind das Ergebnis der jahrzehntelangen Geheimniskrämerei um die SDAG-Wismut. Nun offenbarte der vielgeschmähte Betrieb seine Strahlungsmeßwerte. Die Bürger aber begegneten ihnen mit Mißtrauen und zweifelten den Wahrheitsgehalt der Angaben an.

Das sei eine völlig normale und auch verständliche Reaktion, stellte Generaldirektor Horst Bellmann bei einem Pressegespräch fest. Er und der Gebietsarzt des Wismut-Gesundheitswesens hatten schon vor Jahren die damalige Staatsund Parteiführung zur Offenlegung der Daten gedrängt, waren aber brüsk abgewiesen worden. Dieses aufgezwungene Schweigen, so Gebietsarzt Dr. Helmut Janke, habe mehr Probleme geschaffen als es in Wirklichkeit gibt.

Die Strahlungssituation der Wismuthalden unterscheidet sich kaum von der natürlichen Strahlung der Umgebung, wird doch das uranhaltige Gestein zur Aufbereitung ausgesondert. Auch die Befürchtungen über unzumutbare Belastungen durch die Abwetterschächte der Wismut erweisen sich bei genauer Betrachtung als unbegründet. Hier scheinen zwar die Meßwerte zwischen 2 000 und 12 000 Becquerel pro Kubikmeter Luft zunächst beträchtlich, doch schon in 300 Meter Entfernung ist die natürliche Konzentration wieder erreicht. Die geringe Dimension wird vor allem am Wert des Ausstoßes reinen Radons deutlich. Alle zehn Thüringer Abwetterschächte zusammengenommen bringt es die Wismut dabei nur auf einen Kubikmillimeter täglich.

Radon ist ein natürliches, allgegenwärtiges, radioaktives Edelgas, das beim stufenweisen Zerfall von Uran entsteht. Seine Zerfallsprodukte wiederum sind mit über 90 Prozent die Hauptstrahlungsquelle im Wismut-Bergbau. Sie wirken ausschließlich über die Atmungsorgane, wenn sie, an Staubpartikel gebunden, eingeatmet werden und ihre Alpha-Strahlung die umgebenden Zellen trifft. Auf diese Weise kann die Schneeberger Krankheit entstehen, ein lange rätselhafter Lungenkrebs, der in der erzgebirgischen Bergbauregion deutlich gehäuft vorkam. Die Zeitdauer der Einwirkung, die Menge und die individuelle Konstitution entscheiden dabei wesentlich, ob es zu Gesundheitsschäden kommt.

Der Wirkungsmechanismus dieser Krankheit wurde erst in den 50er Jahren geklärt. Seither gibt es in der Wismut wirksame Schutzmaßnahmen. Dazu gehören das Naßbohren der Sprenglöcher und das Anfeuchten des Haufwerks untertage, Vorkehrungen, die das Entstehen von Stäuben verhindern, die Radonzerfallsprodukte binden können. Die kräftige Durchlüftung der Schächte verhindert darüber hinaus, daß gefährliche Radonkonzentrationen in den Gruben entstehen. So erklärt es sich auch, daß die vom Gesundheitswesen der Wismut jährlich registrierten 160 Neuerkrankungen an Lungenkrebs zu 98 Prozent Bergleute betreffen, die in den 40er und frühen 50er Jahren in Wismutschächten gearbeitet haben.

Siegmar Richter, Hauptstrahlenschutz-beauftragter der SDAG-Wismut, machte in einem Gespräch deutlich, daß Radon nicht an den Uranbergbau gebunden ist. Es ist - in unterschiedlicher Konzentration - nahezu überall vorhanden. Alle Granite geben beispielsweise aufgrund ihrer mineralischen Zusammensetzung Radon ab. Aus der Erde austretende Luft, Baumaterialien und Wasser sind die Hauptquellen. Dabei nimmt die Konzentration in der DDR von Süd nach Nord ab. Das erklärte sich aus dem Umstand, daß in den Nordbezirken die Radon bildenden Urgesteine von beträchtlichen Sand- und Tonschichten überlagert sind.

Nach Aussage von Siegmar Richter ist die natürliche Radonbelastung landesweit in Gebäuden rund zehnmal höher als im Freien. In der CSSR mußte vor Jahren ein umfangreiches Sanierungsprogramm begonnen werden, weil aus Unkenntnis Radon entwickelnde Asche bei der Produktion von Silikatbausteinen verwendet wurde.

Dagegen bereiten den Strahlenschützern in der DDR vor allem die Bergbau-Altlasten beträchtliche Sorgen. So wurde in der Blütezeit des erzgebirgischen Silberbergbaus uranhaltiges Gestein auf die Halden geschüttet, von dem seither eine erhebliche Radonemission ausgeht. Deshalb liegt im Erzgebirge die terrestrische Strahlung unabhängig vom Uranbergbau erheblich über dem Landesdurchschnitt. Im Extremfall wurden in einer Wohnung in Schneeberg 8 000 Becquerel pro Kubikmeter Luft gemessen. Im Vergleich dazu nimmt sich der Maximalwert von 200 Becquerel pro Kubikmeter Luft an einem Schlammteich für Aufbereitungsrückstände der Urangewinnung im Bezirk Gera geradezu bescheiden aus. Der durchschnittliche Wert lag bei dieser Deponie bei 50 bis 80 Becquerel pro Kubikmeter Luft und damit im Bereich natürlicher Werte dieser Gegend.

Trotzdem bereitet dieses Endlager Sorgen, da es die Gefahr der Stauberosion birgt. Der Staub könnte Radonzerfallsprodukte binden, die dann mit eingeatmet würden. Deshalb wird die Deponie jetzt mit erheblichem Aufwand abgedeckt. Diese Arbeit soll in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren abgeschlossen werden.

Nach Auskunft von Dr. Janke ist nach internationalen Erkenntnissen nicht mit genetischen Defekten durch ionisierende Strahlen, wie sie bei Radonzerfall auftreten, zu rechnen. Auch alle in der DDR vorliegenden epidemiologischen Daten zeigen keine Häufung zum Beispiel von Fehlgeburten, Mißbildungen, der Säuglingssterblichkeit oder der Kinderlosigkeit bei Bergarbeitern oder Bewohnern von Uranabbaugebieten.

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang bleiben, daß Radon schon seit Jahrzehnten für medizinische Heilzwecke genutzt wird. Schlema und Ron neburg erlangten beispielsweise als Radiumbäder Berühmtheit. Dennoch warnen Mediziner wie Strahlenschützer vor der Bagatellisierung des Problems. Wie überall macht auch hier die Dosis das Gift, und auch in diesem Falle sind Kontrolle und Vorbeugung besser als aufwendige Schadensbeseitigung. Sicher ist aber auch, daß nach allen bisherigen internationalen Erkenntnissen in den Uranbergbaugebieten niemand des Radons wegen um seine Gesundheit oder gar sein Leben bangen muß.