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Reinhard Eigenwill
Der Sächsische Bauernaufstand von 1790


Wiedergabe aus amuellner.gmxhome.de November 2001

Auf den ersten Blick mag es verwundern, daß es gerade in Kursachsen zu einer Erhebung von solch einem Ausmaß gekommen ist, hatte sich das Land doch von den politisch und ökonomisch gleichermaßen katastrophalen Folgen des Siebenjährigen Krieges wenigstens in ökonomischer Hinsicht erstaunlich gut erholt. Im Zuge des sogenannten "Retablissements" waren im Sinne des aufgeklärten Absolutismus einige Reformen zur Belebung des wirtschaftlichen und politischen Lebens unter tatkräftiger Mitwirkung bürgerlicher Kreise durchgeführt worden. Der Handel und die Manufakturproduktion florierten wieder. Doch im ganzen gesehen, war die feudale Struktur der Gesellschaft nicht angetastet worden. Gerade die Lage der Masse der Bauern, der unteren Schichten überhaupt, hatte sich in der letzten Zeit eher wieder verschlechtert. Eine umfassende Agrarreform hatte es nach 1763 eben nicht gegeben. Die Masse der ländlichen Bevölkerung vor allem schenkte deshalb verständlicherweise den schon vor 1790 im Lande kursierenden christlich-eschatologisch geprägten Prophezeiungen von bevorstehenden "großen Ereignissen" oder den aufröhrerischen Predigten des Döbelner Diakons Sillig bereitwillig Gehör. Aber auch wohlhabende Bauern, wie etwa die in der fruchtbaren Lommatzscher Pflege, empfanden die feudalen Verhältnisse zunehmend als Fessel. Auf all diese bedrohlichen Anzeichen reagierte die Regierung - wie nicht anders zu erwarten - mit verstärkter Repression. Die schwachen Anzeichen von politischer Toleranz aus den siebziger Jahren waren längst wieder verschwunden. Kleinliche, oft lächerliche Zensurbestimmungen sollten die Verbreitung jeglichen revolutionären Gedankengutes aus Frankreich verhindern. So hatte man z.B. allen Ernstes in der Residenz das Führen politischer Gespräche verboten. Bei Theateraufführungen mußte der Name Paris durch St. Petersburg ersetzt werden. Zur Verschärfung der Situation auf dem Lande trugen auch die ungünstigen Witterungsverhältnisse der Jahre 1789/90 bei. Ein strenger Winter, gefolgt von einer Dürreperiode, verschlechterte die wirtschaftliche Lage der Bauern in vielen Gegenden Sachsens erheblich. Im Bericht eines Regierungsbeamten über die Situation im Erzgebirge hieß es Der ganz arme Mann hat weder Geld, noch Holz, noch Brod. Das einzige Nahrungsmittel, das ihm hier und da noch übrig ist, sind gefrorene Erdäpfel. Ein Auswuchs feudaler Mißwirtschaft hatte die Bauern schon immer besonders empört: das Jagdunwesen. Für den Adel und den Hof gehörte die Jagd seit jeher zu den beliebtesten Vergnügungen. Man scherte sich nicht darum, daß das sorgsam gehegte Wild die Feldfluren verwüstete. Ein bevorzugtes Jagdgebiet für den Hof war das Elbsandsteingebirge. Hier brachen dann auch nicht zufällig die ersten Unruhen des Jahres 1790 aus - noch vor dem Ausbruch des eigentlichen Bauernaufstandes. Zu Pfingsten versammelten sich die Bauern von Wehlen und beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, d.h. das Wild aus den Wäldern und von ihren Feldern zu vertreiben. Mehr als ein Dutzend Gemeinden schlossen sich ihnen an und forderten die Abschaffung der feudalen Jagdprivilegien. Meist nur mit Dreschflegeln und Knüppeln ausgerüstet, zogen sie los. Eine kurfürstliche Untersuchungskommission reiste umgehend an, um die Wogen zu glätten. Kurze Zeit darauf beschloß die Regierung sogar, den großen Wildbestand in der Gegend zu lichten. Doch die Unruhen hatten schon die Bauern im Amt Stolpen, in der Dresdner, der Radeberger und Dippoldiswalder, ja in der Torgauer Gegend und in Teilen der Lausitz erfaßt. Als zuletzt die ganze Sache organisierte Formen anzunehmen begann, schien es für die Dresdner Regierung bedrohlich zu werden. Doch klugerweise verzichtete sie auf den Einsatz von Militär. Tatsächlich flauten die Jagdunruhen denn auch im Juli ab.

Zugleich mehrten sich aber die Anzeichen dafür, daß man bald mit ganz anderen Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Im Raum Königstein und in der Oberlausitz stellten einige Gemeinden einfach die feudalen Dienstleistungen ein. In der Herrschaft Wechselburg weigerten sich die Bauern, der Umwandlung der Naturalabgaben in einen Geldzins zuzustimmen, und drohten unverblümt mit Aufstand. Im ganzen Land mehrten sich die Gerüchte von einer unmittelbar bevorstehenden Erhebung. Nun, das Ereignis ließ auch nicht lange auf sich warten.

Ausgangspunkt und Zentrum des sächsischen Bauernaufstandes, der insgesamt ein Gebiet von ungefähr 5 000 Quadratkilometern erfassen sollte - also rund zehn Prozent des kursächsischen Territoriums - war die Lommatzscher Pflege, das alte Kerngebiet der Mark Meißen mit seinen großen Rittergütern. Hier war es vor allem Friedrich von Zehmen, Gerichtsherr auf Schleinitz und Petzschwitz, der seinen Untertanen in den insgesamt zehn Dörfern schon lange übel mitgespielt hatte. Einige Bauern führten gegen ihn schon jahrelang Prozesse, weil er ihnen die Haltung von Schafen verboten hatte. Bereits Anfang 1790 versammelten sich die Zehmenschen Bauern mehrfach, um über die Verbesserung ihrer Lage zu beratschlagen. Auf das Verbot dieser Zusammenkünfte hin beschwerten sie sich beim Kurfürsten - umsonst. Auch eine persönliche Abordnung konnte in Dresden nichts ausrichten. Die Lage spitzte sich zu. Am 3. August stellte ein Dorf erstmals geschlossen alle Dienstleistungen für Zehmen ein. Die daraufhin ergangene Aufforderung, vor Gericht zu erscheinen, ignorierten die Bauern. Zwei Tage später verweigerten fast alle Zehmenschen Untertanen den Gehorsam. Sie verjagten die herrschaftlichen Schafe von ihren Feldern. Das herrschaftliche Hutungsrecht war ja einer der wesentlichen Streitpunkte gewesen. Das Beispiel der Zehmenschen Bauern machte schnell Schule. In Deutschenbora kündigten die Einwohner in aller Form die feudalen Leistungen auf. Die Pinnewitzer Bauern jagten ebenfalls die Schafe ihres Gutsherrn von den Feldern. Dabei erklärte einer der dortigen Häusler: es müßte in Sachsen so werden wie in Frankreich. Als der Amtmann von Oschatz tags darauf mit drei Dutzend Soldaten anrückte, um die Ordnung wieder herzustellen, wurde er kurzerhand davongejagt. Mitte August hatte die Rebellion bereits fünfzig Gemeinden erfaßt. Jetzt bekam Friedrich von Zehmen die ganze Wut seiner Bauern zu spüren. Auch er hatte Soldaten angefordert, um seine Untertanen zur Räson zu bringen. Das am 22. August in Schleinitz eintreffende Militär wurde noch am gleichen Abend von der aufgebrachten Menge entwaffnet. Der kommandierende Offizier bezog eine Tracht Prügel. Dann zogen die Aufständischen - ihre Zahl war mittlerweile auf etwa 500 angewachsen - zum Schleinitzer Schloß und erstürmten es. Von Zehmen trieben sie auf den Schloßhof und zwangen ihn, schriftlich den Verzicht auf alle Frondienste, Leistungen und Zinsen zu erklären. Im Vollgefühl ihres Triumphes zogen die Bauern nun zu den Katzenhäusern, jener höchsten Erhebung der Hochfläche zwischen Meißen, Nossen und Lommatzsch, die im Siebenjährigen Krieg eine strategisch höchst bedeutsame Rolle gespielt hatte. Seit Anfang 1761 war das Plateau für die Preußen die Hauptbasis für ihre militärischen Operationen in Sachsen gewesen. Ende Oktober 1762 hatte aus dieser sicheren Stellung Prinz Heinrich von Preußen seinen Vorstoß in Richtung Freiberg unternommen und unweit der Stadt einen wichtigen Sieg errungen.

Nun hatten sich hier also die aufständischen Bauern versammelt. Vor den Zehmenschen Bauern hatten sich schon einige hundert Aufständische aus Deutschenbora eingefunden, die über die Festnahme und Inhaftierung von vier ihrer Anführer aufgebracht waren. Man erhielt jetzt laufend Zuzug. Noch am 22. August sollen bereits 8 000 Bauern bei den Katzenhäusern gelagert haben. Was lag näher, als die Befreiung der vier in Meißen Inhaftierten zu beschließen. 2000 notdürftig mit Knüppeln, Sensen und Beilen bewaffnete Aufständische zogen also am nächsten Morgen auf der von Nossen kommenden Straße bis vor das Lommatzscher Tor. Gegenüber dieser Übermacht waren die erschreckten Behörden machtlos. Zum Glück für sie ließen sich die Bauern dazu bewegen, nur zehn Vertreter in die Stadt zu Verhandlungen auf das Kreisamt zu entsenden. Die vier Gefangenen mußte man wohl oder übel freilassen. Nachdem die Abordnung der Bauern noch vergeblich einen besonders verhaßten Gerichtsbeamten, der in Meißen untergetaucht war, gesucht hatte, verließ sie zusammen mit den Freigelassenen wieder die Stadt. Ein anderer bewaffneter Bauerntrupp hatte am gleichen Tage einige in Nossen gefangengehaltene Gesinnungsfreunde befreit.

Obwohl keine einheitliche Organisation oder ein koordiniertes Vorgehen der Bauern erkennbar war und auch keine Unterstßtzung durch die Bevölkerung der Städte erfolgte, hatte der Aufstand Ende August weitere Teile Sachsens, namentlich das Erzgebirge und Teile beider Lausitzen, erfaßt. Überall wurden die feudalen Dienste und Leistungen eingestellt und die Gutsherren gezwungen, die Erb- und Fronregister herauszugeben. In einzelnen Fällen begann man sogar mit der Aufteilung des feudalen Grundbesitzes. Die Haltung der Bauern wurde immer drohender. Sogar die Untertanen des kurfürstlichen Ministers von Wallwitz ließen ihrem Herrn nach Dresden ausrichten, wenn er nicht, binnen 24 Stunden auf seinem Gut Schmorkau (bei Oschatz) auftauche, würde man ihm sämtliche Gebäude demolieren. In der Liebstädter Gegend aber tauchte erneut ein - diesmal anonymes - Pamphlet auf, das in seinen radikalen Forderungen weit über die Geißlerschen Vorstellungen hinausging. Am Dresdner Hof hatte man erst jetzt das ganze Ausmaß der Aufstandsbewegung, die Gefahr, die der "gottgewollten Ordnung" drohte, erkannt. Am 24. August wurde die Armee Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht in Alarmbereitschaft versetzt. Eine von Vizekanzler von Burgsdorff geleitete und mit außerordentlichen Vollmachten versehene Regierungskommission leitete und koordinierte alle nun erforderlich werdenden Maßnahmen. Erst einmal erließ sie ein Mandat, das für weiteres "Tumultieren" die Todesstrafe androhte, Denunzianten und anderen "reumütigen" Rebellen aber Straffreiheit zusicherte. Aus militärischer Sicht war klar, daß nicht alle Brandherde auf einmal ausgetreten werden konnten. Also beschloß die Regierung folgerichtig, zuerst gegen das Zentrum des Aufstandes, die Lommatzscher Pflege, vorzugehen. Ende August hatte man 3 000 Mann unter dem General von Boblick bei Meißen zusammengezogen. Zuerst versuchte das Militär, mit kleineren Aktionen Herr der Lage zu werden. Erst als die vorübergehende Besetzung einzelner Güter oder Dörfer zu keinem Ergebnis führte, setzte sich am 29. August das Gros der Truppe von Meißen aus in Bewegung, um alle wichtigen Dörfer der Lommatzscher Gegend zu besetzen. Und schon am nächsten Tag war der Freiherr von Zehmen in seine "Rechte" wieder eingesetzt. Die Bauern, ohne einheitliche und entschlossene Führung, mußten kapitulieren. Selbst die Flucht war ihnen unmöglich gemacht worden, da alle nach Westen führenden Straßen militärisch kontrolliert wurden. Die Anführer der einzelnen rebellischen Gemeinden wurden verhaftet und zum Teil nach Dresden abgeführt. Mit diesem schnellen Sieg hatte die Regierung aber noch längst nicht den Aufstand insgesamt niedergeworfen, auch wenn nun das Schicksal der Bewegung besiedelt, die Wiederherstellung der Ordnung in den anderen Landesteilen nur eine Frage der Zeit war.

Die letzte Phase des sächsischen Bauernaufstandes gestaltete sich sogar noch recht gewalttätig. In den Schönburgischen Herrschaften, im äußersten südwestlichen Grenzraum der alten Mark Meißen, zeigten sich die Bauern besonders renitent. Am 30. August stürmten etwa 1500 Aufständische das Schloß Wechselburg, zerstörten die Wohnung des Gerichtsbeamten, vernichteten seine Akten und erklärten den Adel für abgeschafft und sich für die Herren des Landes. Von einigen Dutzend Dragonern wurden sie jedoch bald wieder auseinandergetrieben. Am gleichen Tage zogen 3000 Menschen zur Rochsburg, die ebenfalls erstürmt und demoliert wurde. Als hier die Bauern dem herbeigeeilten Militär Widerstand leisteten, fielen Schüsse. Zwanzig Verwundete blieben liegen. Vor der Übermacht der Soldaten wichen viele in die Wälder der Umgebung aus, so daß die Behörden hier erst Mitte September berichten konnten, die Ruhe sei wiederhergestellt. In anderen Gegenden Sachsens regte sich der Geist des Aufruhrs noch bis in den Oktober hinein. Erst am 22. Oktober konnte die zur Niederschlagung des Aufstandes seinerzeit gebildete außerordentliche Regierungskommission aufgelöst werden.