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H. Douffet
Besiedlungsgeschichte des Freiberger Gebietes


aus: Werte unserer Heimat Band 47: Freiberger Land
Akademieverlag Berlin-Ost 1988
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Besiedlungsgeschichtlich haben wir das Freiberger Gebiet um 1000 u. Z. zu dem sich zwischen den sorbischen Altsiedelgebieten nördlich Nossen sowie dem Elbtal und Böhmen erstreckenden Miriquidi, d. h. schwarzer Wald, einzuordnen. Nur der Westteil wurde von dem über die späteren Orte Hainichen und Oederan nach Sayda verlaufenden Alten Böhmischen Steig, einer der wenigen großen Paßstraßen aus dem Leipziger Raum, durchzogen, an der sich damals aber offensichtlich noch keine Siedlungen befanden. Politisch wurden die sorbischen Gebiete nach der Eroberung durch HEINRICH I. (929) teilweise der neu gegründeten Markgrafschaft Meißen zugeordnet. 981 schenkte Kaiser OTTO II. dem Kloster Memleben außerhalb der Mark Meißen gelegene Orte bei Döbeln, die 1015 dem Kloster Hersfeld a. d. Fulda als Lehen übereignet wurden. Gegen Mitte des 12. Jh. setzten, ausgehend von den Altsiedelgebieten, umfangreiche Rodungen ein.

Die in der Mitte des 12. Jh. erfolgte Grenzbeschreibung des sogenannten Hersfelder Lehens, das auch Rodungsflächen südlich Döbelns umfaßte, gibt die Große Striegis als dessen Ostgrenze an (KÄSTNER u. SCHILLER 1928). Zentrale Achse dieses streifenförmigen Bereiches war der über Oederan verlaufende Böhmische Steig, von dem aus um 1150 unter Führung der von Hersfeld weiterbelehnten, in Minkwitz bei Döbeln ansässigen Mildensteiner (BILLIG 1981) die ersten Dorfgründungen unseres Gebietes erfolgten. Das Hersfelder Lehen befand sieh nach Eroberung der Mildensteiner Burg, die man im Raum Frankenberg vermutet, 1232 in den Händen der Wettiner, die es sicher 1292 von Hersfeld zu Lehen besaßen. Im Gegensatz zu BILLIG deutet SCHWABENICKY (1981) die Dörfer im östlichen Teil des Hersfelder Lehens als von Döbeln aus erfolgte Gründungen.

Parallel zu der im Hersfelder Lehen vorgenommenen Landerschließung erfolgte eine solche auch von den Altsiedelgebieten der Mark Meißen aus. Hier muß die Wirksamkeit der Herren von Nossen, Bieberstein und Reinsberg genannt werden, die als Edelfreie in zunächst nur bedingter Abhängigkeit vom Markgrafen die Dörfer nördlich von Kleinvoigtsberg sowie östlich der Mulde anlegten. Für Weißenborn gilt der Einfluß der Burggrafen von Dohna.

Die Rodung der Restfläche zwischen Mulde und Großer Striegis ließ zwischen 1156 und 1162 der wettinische Markgraf OTTO vornehmen, der bisher in der Mark Meißen kaum über eigenen Grundbesitz verfügte. Indem er 1162 die besiedelten 800 Hufen mit kaiserlicher Zustimmung - es handelte sich rechtlich um Reichsland - dem von ihm im Mittelpunkt seines Herrschaftsbereiches gegründeten Zisterzienserkloster, dem späteren Altzella bei Nossen, übertrug (HERRMANN 1953), sicherte er sich und seiner Familie den ständigen Machteinfluß, da er weiterhin Schutzherr des Klosters blieb. Die 1185 gegebene Beurkundung des Klosterbesitzes (KRENKEL 1955) läßt den Schluß zu, daß 1152 die Dorfgründungen im Hersfelder Lehen östlich der Großen Striegis, die nun die Westgrenze der Mark Meißen gegen das pleißenländische Reichsterritorium darstellte, schon abgeschlossen waren. Der Blick auf die Eckardschen Dörfer aus dem Hersfelder Lehen, die von BÖNHOFF (1923) als Oberschöna, Linda und Wegefarth gedeutet wurden, von TIPPMANN (1980) zusätzlich in St. Michaelis und Erbisdorf gesehen werden, zeigt die Grenze als eine links und rechts der Großen Striegis pendelnde Linie (siehe Abbildung). Nach der Klosterschenkung kam es im markgräflichen Rodungsgebiet zunächst zu nur noch wenigen neuen Dorfanlagen, da die Zisterzienser selbst nicht kolonisatorisch tätig varen.

Detaillierte Aussagen zum Rodungsablauf ermöglichen nach den Forschungen LANGERS (1931, 1934, 1935, 1936) die Fluranlagen der Dörfer. Die für das Freiberger Gebiet typischen Waldhufenfluren, bei denen die zu einem Gehöft gehörenden Flächen sich hinter diesem streifenförmig senkrecht zur Dorfanlage erstreckten, waren das Ergebnis eines Mitte des 12. Jh. vollzogenen Entwicklungsprozesses. Den Übergang einer Gelängeflur zur Breitstreifenflur zeigte Goßber. Hier verteilten sich Flächen eines Besitzes auf 4 Schläge. Die mehrstreifigen Waldhufenfluren von Reichenbach und Riechberg stellten einen Fortschritt dar, indem die jeweiligen Bodenanteile nur noch an einen schmaleren Streifen hinter dem Gehöft und einen abseits befindlichen Breitstreifen gebunden waren. Eine weitere Entwicklungsetappe waren Dorffluren mit hinter den Gehöften liegenden, aber noch geraden, die Geländemorphologie nur wenig berücksichtigenden, rechteckigen Waldhufen wie in Kleinschirma oder Kleinwaltersdorf. Eine vollendete Waldhufenflur besaß Oberschöna, wo sich gleichartige, regelmäßige Hufenstreifen vollkommen der Geländeform anpaßten. Blockartige Fluren wiesen Rittergüter, die beispielswese in Wegefarth oder Wingendorf 50% der zugehörigen Dorfflur einnahmen, und Großhöfe auf.

Einschneidende Veränderungen der Siedlungsstruktur brachte die Auffindung der Freiberger Silbererze 1168 im damaligen Christiansdorf. Zur Realisierung des ihm vom Kaiser verliehenen Bergregals mußte der Markgraf Grundherr der bergbaulich interessierenden Flächen werden. Gegen Entschädigung gliederte er um 1170 die Fluren von Christiansdorf, Tuttendorf und Berthelsdorf aus der Klosterschenkung aus. In der Folge entstanden die Bergstadt Freiberg und, mit der Erweiterung des Wegenetzes, die Marktsiedlung Oederan. Die Anlage der Freiberg umgebenden Großhöfe bei Halsbrücke, in Halsbach sowie unmittelbar neben Freiberg muß als Sicherung der Ernährungsgrundlage der explosionsartig vachsenden Bergmannssiedlung gesehen werden. Es handelte sich um Flächen, die anscheinend vor 1168 kaum oder gar nicht gerodet waren.

Im Anschluß an die Hauptbesiedlung erfolgte noch die Nutzbarmachung von Restflächen, wie etwa in Süßenbach. Echte, im späteren Mittelalter zu Wüstungen gewordene Dörfer sind aus dem Freiberger Gebiet kaum bekannt. Zu nennen wären nur Naundorf bei Memmendorf und vielleicht Wüsthetzdorf. Andere Wüstungen, so Kühren bei Wingendorf, betrafen nur Niederlassungen im Bereich von Großhöfen. Der starke Bedarf des Bergbaus an landwirtschaftlichen Produkten wirkte sich offenbar stabilisierend auf die vollzogenen Dorfgründungen aus.

Erweiterungen vorhandener Siedlungen, aber auch Neugründungen brachte die besonders seit Anfang des 16. Jh. einsetzende Belebung des Bergbaus. Zu nennen ist vor allem die Bergmannssiedlung "auf dem Brand" bei Erbisdorf, die 1542 als Flecken bezeichnet wurde, aber erst 1834 Stadtrechte erhielt. Bereits vor 1450 wurde im Zusammenhang mit dem Mohorner Bergbau Hetzdorf neu angelegt, 1538 wird das benachbarte Erlicht genannt. Damals setzte auch, wie ein Vergleich der Einwohnerzahlen, so für Großvoigtsberg, zeigt, die Anlage von Häusler- und Gärtneranwesen im Bereich der Dorf-auen sowie auf parzellierten Hufenstreifen ein, die im 18. und Anfang des 19. Jh. ihren Höhepunkt erreichte.

Erhebliche Veränderungen der grundherrschaftlichen Zuordnungen brachten die im Zuge der Reformation 1540 erfolgte Säkularisierung des Klosters Altzella und die Aufteilung seiner Dörfer. Entsprechend der herrschaftlichen Zugehörigkeit und der Gerichtsbarkeit müssen nun (TÄScHNER 1925) bis in das 19. Jh. unterschieden werden: Dem Freiberger Rat (z. B. Berthelsdorf, Hilbersdorf, Tuttendorf) oder dem Hospital (Oberbobritzsch, Sohra) untertane Stadtdörfer, herrschaftliche Dörfer mit einem Adligen oder vermögenden Bürger als Grundherrn und Amtsdörfer, die dem 1548 genannten Amt Freiberg als Verwaltungseinheit unterstanden. Herrschaftliche Dörfer wiesen Bindungen an ein Rittergut (Wegefarth, Weißenborn, Wingendorf) oder an ein Freigut (Niederschöna) auf. Vor der Reformation war die Zahl der Amtsdörfer gering (Erbisdorf, St. Michaelis, Niederbobritzsch). Mit der Auflösung Altzellas kam der größte Teil der Siedlungen des Freiberger Landes zum Amt, viele erst 1575 und 1587, nachdem sie, meist ~ zunächst in die Hände des kurfürstlichen Kanzlers ULRICH MORDEISEN gelangt waren.

Kirchlich gehörten die Siedlungen des behandelten Gebietes bis zur Reformation zum Archidiakonat der Dompropstei Meißen, speziell zu den Erzpriesterbezirken von Freiberg und Roßwein (Großschirma, Langhennersdorf, Pappendorf), ferner, was von siedlungsgeschichtlichem Interesse ist, zu dem von Wilsdruff (Krummenhennersdorf, Niederschöna). 1539 wurden sie alle der neugegründeten Superintendentur Freiberg eingegliedert, eine Situation, die erst im 19. Jh. Veränderungen erfuhr.

Der Dreißigjährige Krieg führte zu umfangreichen Verwüstungen, denen die Freiberger Vorstädte, aber auch ganze Bauerndörfer, wie Bräunsdorf und Kleinvoigtsberg, zum Opfer fielen. In der Folge wurde Bauernland zu neugegründeten Rittergütern zusammengelegt (1651 Bräunsdorf, 1705 Friedeburg bei Freiberg) oder vorhandenen Großgütern, so dem in Oberschöna, zugeschlagen. Die Neubesiedlung nach 1646 ließ Kleinvoigtsberg zu einem Bauern- und Bergarbeiterdorf werden. Das 17. und 18. Jh. brachte die für die Freiberger Umgebung typischen Berg- und Hüttenarbeitersiedlungen hervor: Gotthelffriedrichsgrund, Neudörfel bei Großvoigtsberg, Wolfsgrün bei Reinsberg, die Kohlung und die Zellhäuser bei Reichenbach, später noch NeuWüsthetzdorf.

Obzwar es in unserem Gebiet bis auf eine Ausnahme zu keinem eigentlichen Bauernlegen oder einer Leibeigenschaft gekommen war, stiegen im 17. und 18. Jh. bei vielen Grundherrschaften die Fronlasten der dörflichen Bevölkerung ins ungemessene. Erst die bürgerliche Agrarreform brachte ab 1832 Veränderungen, wobei im Gegensatz zu Preußen keine Verringerung von Bauernland eintrat.

Sieht man von Weißenborn ab, so kam es im 19. Jh. bei Freiberg zu keiner Ausbildung ausgesprochener Industriedörfer. Hilbersdorf erhielt infolge seiner Nachbarschaft zu Freiberg und Muldenhütten einen fast vorstädtischen Charakter. Die industrielle Entwicklung Brands, Freibergs und Oederans führte schließlich in diesem Jahrhundert zur Eingemeindung von Nachbarorten.

Den wohl eingreifendsten Wandel in der Besiedlungsstruktur bewirkten die mit der Befreiung vom Faschismus seit 1945 eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen, indem die praktisch seit dem 12. Jh. unverändert bestehenden Flureinteilungen schrittweise überwunden und den neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Erfordernissen angepaßt wurden. Die Demokratische Bodenreform 1945/46 führte zur Aufteilung des Großgrundbesitzes und zur Anlage von Neubauerngehöften, oft in der Nähe der einstigen Großhöfe, aber auch als Streusiedlungen im Bereich der zugehörigen Felder, wie in Kleinwaltersdorf oder in Krummenhennersdorf, seltener als geschlossene Straßenbebauung, wie in Wegefarth. Mit dem Aufbau einer sozialistischen Landwirtschaft traten an die Stelle der mittelalterlichen Hufeneinteilung große, über ganze Dorffluren reichende Schläge.

Ein beachtliches Wachstum zeigten nach 1945 die Städte Freiberg und Brand-Erbisdorf, wobei Brand durch die Verwaltungsreform 1952 zur Kreisstadt eines aus dem südlichen Teil der einstigen Amtshauptmannschaft Freiberg neugebildeten Kreises geworden war. Der Ausbau Freibergs als montanwissenschaftliches Zentrum der DDR, der Aufbau neuer Hütten und anderer industrieller Großanlagen bewirkten in beiden Orten eine bedeutende Bevölkerungszunahme und damit die Errichtung auch flächenmäßig umfangreicher Wohnkomplexe. Wahrzeichen der Landschaft zwischen Brand-Erbisdorf, Freiberg und Muldenhütten wurde eine Reihe von bis 200 m hohen Betonschornsteinen.