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Christine und Hermann Doerffel
1632 - Die Köpfe rollten
nochmal Krumhermersdorfer Kirchenchronik


C + H Doerffel, FREIE PRESSE Zschopau 14.12.1990

Beinahe hätten wir nichts davon erfahren: Was 1632 in Krumhermersdorf geschah, schrieb der damalige Pfarrer ins Kirchenbuch; in der Annahme, da stünde es sicher und für alle zukünftigen Generationen zur Warnung. Doch irgendwann zwischen 1935 und 1955 kamen eben gerade jene Seiten abhanden! Glücklicherweise wurde einiges davon schon vorher abgeschrieben. Zum Beispiel die Strafexpedition gegen Krumhermersdorf 1632.

Es war die Zeit des 30-jährigen Krieges. Des Krieges, der die Entscheidung bringen sollte über den rechten Glauben, evangelisch oder katholisch. Friedliche Koexistenz? Kein Gedanke, ein diktatorisch aufgebautes Gebilde wie die (damalige) katholische Kirche konnte eine Opposition einfach nicht akzeptieren. - Erstaunlich, wie lange sich Sachsens Kurfürst durch geschickte Bündnispolitik aus diesem Krieg heraushalten konnte. Nach 14 Jahren Krieg jedoch fühlten sich Kaiser und Papst stark genug, auch in diesem Land die "Abweichungen von der Linie" mit Gewalt zu beenden.

14 Jahre lang spürte man in Sachsen diesen Krieg nur aus der Entfernung. Beispielsweise an den Silbermünzen, die aus weniger Silber bestanden und doch noch genausoviel gelten sollten. Keiner nahm sie gern, doch ohne Geld konnte man nicht leben. Am Ende mußte man doch mehr solche Münzen für die gleiche Sache bezahlen: Inflation.

Auch an häufigeren Seuchen war der Krieg schon zu spüren. Sächsische Soldaten brachten sie aus der Fremde, aus den unhygienischen Bedingungen von Feldlagern mit: Den 31. Juli 1631 ist Michael Felbers Sohn Adam begraben worden, welcher an einer Seuche der Durchlauf genannt, gestorben. Welche soll Jobst Birner mit aus dem Heerlager Frankfurt-Oder gebracht haben. (1)

An dieser Seuche starben beispielsweise sämtliche Bewohner eines Bauerngutes, so daß es beim Einmarsch fremder Soldaten bereits wüst und leer stand.

Dieser Einmarsch erfolgte im August 1632. Anlaß war das sächsisch-schwedische Bündnis, das dem Kaiser mißfiel. General Holck aus Wallensteins Heer erhielt den Auftrag, in Sachsen Dörfer und Städte zu zerstören, bis der sächsische Kurfürst dieses Bündnis auflösen werde. Diesen Befehl erfüllte Holck nicht nur mit besonderer Grausamkeit, sondern auch mit besonderer Gründlichkeit.

Sein Ruf eilte ihm voraus. Die Einwohner Zschopaus flüchteten bis auf 50 Leute in die Wälder. Ähnlich dürfte es überall gewesen sein. Als die Geflüchteten zurückkehrten, war ihr Eigentum geplündert und zerstört.

Hilfe? In Krumhermersdorf gab es nicht mal eine richtige "Obrigkeit"! Der Grundherr lag mit der Obrigkeit in Streit, ob er überhaupt Grundherr Krumhermersdorfs sei. Auch das Pfarrhaus wurde 1632 zerstört, der Pfarrer zog nach Waldkirchen und betreute Krumhermersdorf nur als Außenstelle. - Und die Amtleute in Augustusburg dürften mit den Schultern gezuckt haben: Es ist Krieg, da gilt Faustrecht. Möge sich jeder schützen, so gut er kann.

Zorn und Verzweiflung der Krumhermersdorfer wird zu der folgenden Partisanenaktion geführt haben: Ein Trupp Soldaten wurde gefangen, entwaffnet und verprügelt. Die Pferde nahmen die Krumhermersdorfer mit. General Holck nahm dafür schreckliche Rache: Weil man etliche Soldaten unten im Dorf abgesetzet und ihnen die Pferde genommen hat (welches nicht nur hiesige, sondern auch benachbarte verübten), haben General Holcks Völker [Soldaten] auf ihres Generals Befehl das Dorf angezündet; niedergehaun, wen sie angetroffen, so daß sie etlichen die Köpfe in einem Hieb abgehauen haben und der Kopf den Berg hinabgelaufen, der Körper aber liegengeblieben ist, welches jämmerlich anzusehen war. Und sonst übel verfuhren, wie noch zu sehen ist. (2)

Krumhermersdorf muß damals ziemlich gründlich abgebrannt sein, demnach, daß kaum noch Steuern zu erheben waren. Auf die Zerstörungen folgte gleich wieder eine Seuche, so daß innerhalb von zwei Jahren 700 Menschen hier starben. Von dem Rest verließ ein Teil vorübergehend oder für immer unseren Ort. Als 1634 erstmals seit der Zerstörung wieder Kirchenbuch geführt wird, sind nur noch ein bis zwei Geburten pro Jahr zu verzeichnen. Vorm Krieg waren es 20 bis 30!

Doch das Elend war noch nicht vorüber. 1635 schloß der Kurfürst einen Separatfrieden mit dem Kaiser. Nun waren die Schweden die Feinde, und kaiserliche Soldaten sollten sie aus Sachsen vertreiben. - Für die Einwohner blieb es sich fast gleich, wer Freund oder Feind war: 1635 drangen kurfürstliche (sächsische, also eigene) Soldaten in die Kirche ein und nahmen die letzten Wertstücken mit, zwei Leuchter. Was sie sonst im Dorf noch raubten, ist nicht vermerkt.

Vielleicht aus jener Zeit stammt die Sage vom Schatz am langen Stein:

Im Bornwald, oberhalb von Neunzehnhain, soll der Sage nach die wertvolle Kriegskasse der kaiserlichen Truppen vergraben sein. Die Truppen waren von den Schweden zerstreut worden, und Wallensteinsche Reiter sollten die Kasse in Sicherheit nach Böhmen bringen. Von den Schweden verfolgt, wußten sie keinen anderen Rat, als die Kasse im Bornwald zu vergraben. Der Schatz blieb unentdeckt und liegt noch heute dort ... (3)

Es wurde in der Folgezeit gefährlich, allein aus dem Dorf zu gehen. Die Soldaten betrachteten den Krieg mehr und mehr als Quelle zur Bereicherung und zum billigen Befriedigen ihrer Wünsche. Etliche Kinder wurden in dieser Zeit geboren, von denen im Kirchenbuch steht: Wurde in der Unehre mit einem Soldaten gezeugt. (1) Eine Wiese, die alljährlich von der Kirche verpachtet wurde, wollte keiner um gebührlichen Zins bewirtschaften. (4)

Ja, selbst in die Kirche trauten sich die Leute kaum, so daß wochenlang der Gottesdienst ausfallen mußte! Da die Bauern sich nicht aufs Feld trauten, wurde auch nicht viel produziert. Nahrungsmittel wurden teurer und teurer, daher auch viele Menschen sogar das gestorbene Vieh kochen und vor Hunger essen mußten. (5)

Als 1648 Frieden geschlossen wurde, konnte von Siegern keine Rede sein. Das Land war entvölkert und verwüstet. 30 Jahre hatten gezeigt, daß Gewalt ungeeignet war, andere von seinem Glauben, eigentlich von seiner Gesellschaftsordnung zu überzeugen. Daß Gewalt alle schädigte. Aber wieviel Opfer hatte diese Erkenntnis gekostet!

Nicht nur, daß es keine Sieger gab: Es gab nur Verlierer!


  1. 1. Kirchenbuch Krumhermersdorf
  2. Chronik aus dem 1. Kirchenbuch
  3. Reinhold Timme: Was der Bornwald erzählt
  4. Kirchrechnungen um 1643
  5. Simon, Chronik von Zschopau 1821